Nicht ohne Risiko (German Edition)
Jahr war Carly in das Apartment am Ende des Korridors eingezogen – gleich nach ihrer letzten Scheidung. Damals hatte die kleine Frau noch dickes glattes, beinahe ebenholzschwarzes Haar gehabt. Seitdem hatte sie eine ganze Reihe verschiedener Schnitte und Farben ausprobiert,zuletzt ein unglaublich leuchtendes Rot.
Überraschenderweise war Carly Bibliothekarin. Mit ihrer ausgefallenen Garderobe und den ständig wechselnden Haarfarben entsprach sie ganz und gar nicht den gängigen Vorstellungen von dieser Berufsgruppe, aber sie liebte Bücher. Sie behauptete sogar, Bücher noch mehr zu lieben als Männer, und das wollte etwas heißen.
„Blond, hm? Sieht gut aus“, meinte Emily und schloss die Tür. „Zu welchem Anlass?“
Carly lachte und ließ sich auf die Couch fallen. „Zu gar keinem.“ Sie hatte eine tiefe, leicht kratzige Stimme, die so überhaupt nicht zu ihrer geringen Körpergröße und dem niedlichen Mädchengesicht passen wollte. „Es wurde nur mal wieder Zeit für eine Veränderung. Apropos Veränderung: Du kommst gerade aus der Dusche, richtig? Lass dich von mir nicht stören. Zieh dich erst mal in Ruhe an.“
„Ich bin gleich wieder da“, meinte Emily.
Carly wandte sich um und hob die Stimme, damit Emily sie auch im Schlafzimmer noch verstehen konnte. „Weißt du, wie es zu dem Blond gekommen ist?“
„Nein“, rief Emily und schlüpfte in frische Unterwäsche. „Wie denn?“
„Samstagabend war ich wieder mal mit Mac aus. Wir waren im Crazy Horse, weil dort diese Band spielte, und in einer der Pausen stellte ich fest, dass dieser Mann echt tanzen kann. Wirklich echt gut! Er wirbelt mich also wie Fred Astaire über den Tanzboden, und plötzlich wird mir klar, dass ich davon träume, mit ihm auf unserer Hochzeit zu tanzen!“
„Oh-oh“, entschlüpfte es Emily. Frisch in saubere Shorts und T-Shirt gekleidet, kam sie ins Wohnzimmer zurück und fuhr sich dabei mit der Bürste durch ihre feuchten Haare.
„Genau: oh-oh“, stimmte Carly zu. Ihre Augen funkelten fröhlich vor unterdrücktem Lachen. „Also, Mac siehtunglaublich gut aus, und ich gebe zu: Er hat die Gabe, mein Herz doppelt so schnell schlagen zu lassen, wie es sollte. Aber mal ehrlich – ihn heiraten? Grundgütiger, das würde keinen Monat lang gut gehen. Allerhöchstens drei Monate. Und ich kann mir, offen gestanden, keine weitere Scheidung leisten. Also dachte ich mir, wenn ich schon unbedingt mal wieder was Neues haben muss, verzichte ich doch auf die Hochzeit und färbe mir stattdessen einfach die Haare und stelle die Möbel im Wohnzimmer um. Außerdem kann ich, wenn der gute Alex dir in ein paar Wochen endlich die Frage aller Fragen stellt, dabei helfen, deine Hochzeit zu planen, richtig? Das bringt eine Menge stellvertretende Aufregung in mein Leben – ohne dass ich mir diese Erfahrung selbst noch einmal antun muss.“
Emily starrte durch die Glasscheibe der Balkontür nach draußen. Ihre gute Laune war schlagartig verflogen, aber Carly merkte nichts. Sie plapperte weiter und erzählte von den neuen Vorhängen, die sie sich eventuell für die Küchenfenster kaufen wollte, bis es an der Tür klingelte.
Emily drehte sich um, die Haarbürste noch in der Hand. Verdammt. Das musste Jim Keegan sein.
„Erwartest du jemanden?“, fragte Carly neugierig.
Sie war schneller an der Tür als Emily und riss sie weit auf. Obwohl Emily nicht sehen konnte, wer vor der Tür stand, wusste sie, dass es Jim war. Sie sah das allein schon an der plötzlichen Veränderung in Carlys Haltung.
„Oh, halll-ooo. Wer sind Sie denn?“
„Ich möchte zu Emily Marshall“, ertönte Jims raue Stimme. „Ich dachte, sie wohnt in 6B. Bin ich hier falsch?“
Emily trat hinter Carly, und Jims Gesicht entspannte sich zu einem Lächeln. „Ah, hallo, Em, wie geht es dir?“, sagte er. „Deine Wegbeschreibung vom Flughafen hierher war großartig.“
Es war seltsam. Seine Worte und sein Gesichtsausdruck wirkten entspannt und freundlich, aber seine Augen übermittelten Emily eine ganz andere Botschaft: Wer zum Teufel ist das, fragten sie schweigend, und was zum Donnerwetter tut sie hier?
„Willst du mich nicht reinlassen?“, fragte er.
„Oh, natürlich, komm doch rein.“ Hastig zog Emily ihre Freundin zurück in die Wohnung und machte damit den Weg frei für Jim.
Er wuchtete eine Reisetasche über die Türschwelle und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Seine langen Haare hatte er mit einem Haargummi im Nacken zusammengebunden,
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