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Nicht schießen, Johnny!

Nicht schießen, Johnny!

Titel: Nicht schießen, Johnny! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ball
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Tibbs.
    Virgil schüttelte den Kopf. »Er ist keiner der hiesigen Negerführer. Er kommt vermutlich von außerhalb oder ist bloß einer, der sich gern reden hört.«
    Die Menge ging immer stärker mit. Der Redner spürte es und reagierte seinerseits darauf. Er verzichtete auf die Zurückhaltung, die er bisher an den Tag gelegt hatte, und wurde aggressiver. Er ließ sich von seinen Gefühlen fortreißen.
    »Diese Stadt verkörpert die Welt des weißen Mannes, die sterbende Welt des weißen Mannes. Er wird nicht mehr lange obenauf sein. Dieser Junge, dieser Willie Orthcutt: ich sage euch, er war besser als jeder weiße Junge in dieser ganzen Stadt. Und wer brachte ihn um? Ein weißer Junge brachte ihn um. Ein arroganter weißer Junge zielte mit einem Schießeisen auf den armen unbewaffneten Willie, zielte direkt auf seinen Bauch und schoß ihn tot. Er kannte Willie nicht mal, er tötete ihn, weil er schwarz war!«
    Ein Stöhnen lief durch die Menge - ein dumpfer häßlicher Laut. Rasmussen warf Virgil einen hastigen fragenden Blick zu, aber Virgils Miene war ausdruckslos; er schien nur aufmerksam zuzuhören.
    Der Redner hielt inne. Er witterte die ständig wachsende Erregung und wurde sich plötzlich seiner Macht bewußt. Er hatte die Menschen in der Hand. Die Luft war förmlich geladen mit Groll und Haß. Ein Funke würde genügen, um das Pulverfaß zur Explosion zu bringen. Der Redner zögerte, holte tief Luft und beschloß, alles auf eine Karte zu setzen.
    »Also, wollen wir bloß hier herumstehen und drüber reden, oder wollen wir endlich mal was dagegen tun? Wir haben so lange Angst vor ihnen gehabt, jetzt wird’s Zeit, daß sie Angst vor uns kriegen. Ich sage, wir werden’s ihnen zeigen, wie unsere Leute in Watts es ihnen gezeigt haben, und wenn wir mit ihnen fertig sind, wird jeder gottverdammte Cop vor Angst den Boden küssen, sobald er das Gesicht eines Schwarzen sieht!«
    Virgil drückte Rasmussen das Mikrofon in die Hand. »Jetzt ist’s soweit«, sagte er abrupt. »Fordern Sie sie zum Auseinandergehen auf - schnell.«
    Rasmussen schluckte und hielt sich das Mikrofon vor den Mund. »Hier spricht Sergeant Rasmussen«, sagte er. »Ich bin ein Vollzugsbeamter des Staates Kalifornien und der Stadt Pasadena. Ich erkläre diese Versammlung für gesetzwidrig und fordere Sie im Namen des Volkes auf, friedlich auseinanderzugehen. Wer der Aufforderung nicht Folge leistet, wird festgenommen.«
    Der Redner hörte und verstand die Durchsage, hatte sich aber in solch eine Hitze hineingesteigert, daß ihm alles egal war. »Und ist es gesetzlich, einen kaltblütigen Mord zu begehen?« brüllte er zurück. »Schnappt euch erst mal den weißen Jungen und laßt uns in Ruhe.«
    »Kümmern Sie sich um Ihre Männer«, sagte Tibbs. »Ich knöpfe mir den Redner vor.«
    »Nein!« rief Rasmussen.
    Virgil legte ihm kurz die Hand auf die Schulter. »Danke, Ted, aber in meinem Fall ist es was anderes - ich habe ein schwarzes Gesicht. Halten Sie sich bereit.«
    Während er sich so schnell wie er konnte durch die Menge hindurcharbeitete, versuchte Virgil Tibbs die Gefühle des Redners zu begreifen. Er erinnerte sich nur zu gut seiner eigenen Kindheit im tiefen Süden, wo er sich, besonders nachts, vor der Begegnung mit weißen Jugendlichen, die zu dritt oder viert im Auto herumkurvten, gefürchtet hatte; und er hatte sich gefürchtet, weil er eine schwarze Haut hatte. Er erinnerte sich, wie er viele hundert Male vom Bürgersteig geschubst worden war, um einem Weißen Platz zu machen, und versetzte sich dann an die Stelle des Redners, der sich aus der Falle zu befreien suchte, in der er durch seine Rassenzugehörigkeit saß.
    Er zwängte sich durch die vordere Reihe der eng aneinandergedrängten Zuhörer, begab sich zur Schmalseite der Plattform und stieg zu dem Redner hinauf, der inzwischen so heiser war, daß er nur noch krächzen konnte. Als der Redner merkte, daß er Gesellschaft bekommen hatte, drehte er sich um und fragte: »Was wollen denn Sie hier?«
    »Weitermachen. Ihre Stimme ist weg.«
    »Und Sie glauben, Sie können das?«
    »Klar.« Obwohl er keine Ahnung hatte, was er sagen würde, übernahm Tibbs das Mikrofon und wandte sich der Menge zu. Er spürte sofort, daß er den Leuten nicht mit Vernunftsprüchen kommen durfte. Er mußte da weitermachen, wo der andere aufgehört hatte, und die erregten Gemüter allmählich irgendwie beschwichtigen.
    Er sprach laut und absichtlich scharf: »Wie viele von euch kommen aus

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