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Nicht schießen, Johnny!

Nicht schießen, Johnny!

Titel: Nicht schießen, Johnny! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ball
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Mississippi?«
    Hände fuhren in die Luft.
    »Alabama?«
    Noch mehr Arme wurden hochgereckt, zustimmende Antworten waren zu hören.
    »Georgia?«
    Abermals Beifall und Armschwenken.
    »Dort stamme ich nämlich her. Dort haben wir nachts die Türen verrammelt, nicht etwa, weil’s bei uns was zum Stehlen gegeben hätte, sondern aus Angst vor den Weißen.«
    Diesmal war die Reaktion stärker.
    »Ich kenne mich aus, Brüder«, fuhr Virgil fort, »weil ich’s am eigenen Leib erlebt habe. Ich habe drei Jahre lang Wagen gewaschen und jeden Cent gespart, damit ich nach Kalifornien fahren konnte. Ich hatte gehört, daß sie mich hier in die Schule gehen lassen würden. Ich wollte um jeden Preis hierherkommen. In Georgia wohnten wir in einer Baracke; meine Mutter kochte das Essen, wenn’s was zu essen gab, über einem Holzfeuer. Der Weiße, der die Baracke für uns Farbige gebaut hatte, hatte sanitäre Einrichtungen für überflüssig gehalten. Er dachte wohl, auf einer schwarzen Haut sieht man den Schmutz sowieso nicht.«
    Sie hörten ihm jetzt zu. Die wenigsten ahnten, wer er war, aber er war schwarz wie sie und sein befehlsgewohntes Auftreten imponierte ihnen. Sie warteten gespannt, was er noch alles sagen oder tun würde.
    »Willie Orthcutt war ein wundervoller Junge«, fuhr Tibbs fort. »Ich bin ihm nie begegnet, weiß aber alles über ihn, und ich kann euch eines sagen - er hätte sich in der Welt einen Namen gemacht.« Er beugte sich vor. »Ich kenne den weißen Jungen nicht, der Willie Orthcutt erschossen hat, aber ich werde ihn ausfindig machen, das verspreche ich euch. Und wenn ich ihn habe, wird er zur Rechenschaft gezogen werden, darauf könnt ihr euch verlassen!«
    Er war für die Menge ein Rätsel; er sagte ihnen, was sie hören wollten, aber er sprach zu ihnen mit der Stimme eines gebildeten Mannes - eines Mannes, der ebensogut weiß hätte sein können. Virgil wußte das; es war ihm nicht leichtgefallen, seinen Südstaatenakzent abzulegen. Die Leute mußten ihn so nehmen, wie er jetzt war; er dachte nicht daran, ihnen Zugeständnisse zu machen.
    »Sie ließen mich hier in die Schule gehen, und ich arbeitete als Tellerwäscher, bis ich mein Abitur gemacht hatte.« Er spürte, daß er nun zum entscheidenden Schlag ausholen mußte. »Jetzt arbeite ich für euch«, fügte er im gleichen Atemzug hinzu. »Ich werde den Jungen fassen; ich bin Polizeibeamter, und das ist mein Job !«
    Tibbs Vorredner riß das Mikrofon wieder an sich und krächzte: »Wißt ihr, was er ist? Er ist ein Weißer in der Haut eines Schwarzen!«
    Bevor Tibbs antworten konnte, spritzte ein Jugendlicher aus der Menge nach vorn und sprang auf die Plattform. Seine Augen glitzerten fanatisch, aber er schien zu wissen, was er tat. Virgil erkannte ihn - es war Charles Dempsey. Aufruhr lag in der Luft, aber die Menge war noch unentschieden. Virgil beschloß, Dempsey das Feld zu überlassen - er hatte ohnehin keine andere Wahl.
    Mit einer Selbstsicherheit, die weit über seine Jahre ging, trat der Halbwüchsige vors Mikrofon und vor die Menge. »He«, rief er, »ihr kennt mich alle! Und wenn ihr mich nicht kennt, habt ihr von mir gehört. Ich bin Sport! Seht ihr die vielen Cops hier? Also, er ist ihr Boß, und er ist ein Schwarzer!«
    Er schwenkte die Arme. »Ich war dabei, als Willie Orthcutt getötet wurde. Wir waren zusammen. Ich habe gesehen, wie der kleine weiße Rotzer das Schießeisen abdrückte. Und dieser Schwarze hier wird ihn hoppnehmen. Und wenn’s soweit ist, wird der weiße Junge den Tag verfluchen, an dem er geboren wurde. Deshalb laßt den Cop hier an die Arbeit gehen!«
    Virgil reagierte geistesgegenwärtig auf sein Stichwort. »Okay«, verkündete er, »die Party ist aus. Wenn ihr alle friedlich nach Hause geht, wird keinem was passieren.«
    Die Mahnung zog nicht richtig, und er probierte es mit einer dramatischen Geste. Über das Mikrofon rief er Rasmussen zu: »Ziehen Sie Ihre Männer zurück. Lassen Sie die Leute durch. Lassen Sie die Leute nach Hause gehen.«
    Ted Rasmussen begriff auf der Stelle, worauf es Virgil ankam. Er antwortete durch seinen Lautsprecher: »Zu Befehl, Sir.«
    Das genügte. Die drei Worte in respektvollem, ja fast unterwürfigem Tonfall hatten die gewünschte Wirkung. Die Menge löste sich allmählich auf. Ein paar Leute grinsten Ted höhnisch an, als sie an ihm vorbeikamen, aber das ließ ihn kalt. Er gönnte Virgil den Triumph, denn er hatte ihn verdient.
    Auf der Plattform notierte sich Tibbs Name und

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