Nicht schießen, Johnny!
war aus Pasadena entkommen, wußte aber, daß er spätestens gegen Abend dorthin würde zurückkehren müssen. Er befand sich auf dem Weg zu den Angels, würde Tom Satriano leibhaftig sehen und sprechen, entfernte sich jedoch zugleich damit immer weiter von Mutter und Vater, ihrer Liebe und dem Schutz, dem sie ihm angedeihen ließen.
Das Fahrzeug, in dem er saß, brachte ihn zum Disneyland, einem Ort fast unglaublicher Freuden und Wunder, aber er war so ausschließlich mit seinen Sorgen beschäftigt, daß er das Ziel der Fahrt darüber beinahe vergaß. Statt dessen sah er, wie Ausschnitte aus einem Stummfilm, immer wieder die gleichen Bilder vor sich: den vor ihm stehenden Negerjungen, das Rucken des Revolvers in seiner Hand, den Ausdruck von Staunen und Schmerz in dem schwarzen Gesicht, dann mit erschreckender Deutlichkeit, wie der Junge die Arme über dem Bauch gekreuzt hatte und zu Boden geplumpst war.
Er, Johnny, hatte mit dem Revolver seines Vaters das Furchtbare angerichtet. Und was das Schlimmste dabei war, er konnte es nicht wiedergutmachen, konnte nicht einfach um Verzeihung bitten und dem Jungen beim Aufstehen helfen. Denn der Junge war tot. Seine Mutter hatte es ihm am Telefon gesagt - er hatte einen Niggerjungen getötet.
Die Brust wurde ihm eng, und er hätte am liebsten geweint. Wenn er es gekonnt hätte, wäre er auf der Stelle ausgestiegen und nach Pasadena und zu seiner Mutter heimgekehrt. Er war bereit, sich der Strafe zu stellen, die die Cops wegen des toten Jungen und sein Vater wegen des kaputten Radios und wegen seines Fortlaufens über ihn verhängen würden. Das mit dem Radio war nicht so schlimm; sein Vater wußte ja inzwischen, daß nicht er schuld daran war. Aber er war so dumm gewesen, das Radio in die Schule mitzunehmen. Damit hatte alles angefangen.
Der Bus wechselte auf die rechte Spur hinüber, schwenkte in die Autobahnausfahrt ein und von da auf eine Hauptverkehrsstraße. Vor Johnny tauchte das mächtige Massiv des Matterhorns auf, dahinter der schlanke Umriß einer Rakete auf ihrem Podest. Das war Disneyland, das Zauberreich, das Paradies der Kinder. Aber mehr als das, es bedeutete, daß er in Anaheim war!
Der Tankstellenwart hatte ihm gesagt, das Baseballstadion der Angels wäre nur eine knappe Meile vom Haupteingang des Disneylands entfernt. Johnny geriet in Erregung. Dies war vielleicht sein letzter freier Tag, bevor er ins Gefängnis gehen mußte; deshalb wollte er jede Minute davon auskosten und ihn zum größten Tag seines Lebens machen.
Der Bus bog auf den riesigen Parkplatz ein und hielt vor der langen Reihe von Eintrittskartenschaltern. Ein Hubschrauber des Luftzubringerdienstes setzte gerade auf dem für Flugreisende reservierten Platz zur Landung an. Auf einem Bahndamm puffte eine bezaubernde altmodische Dampflok heran und zog eine Kette von Wagen hinter sich her in die Station.
Johnny überlegte sich krampfhaft, was er tun sollte. Er hatte
keine Uhr, wußte aber, daß jetzt, am späten Vormittag, das Baseballstadion noch nicht geöffnet sein würde. Er wäre ganz zufrieden damit gewesen, gleich dorthin zu gehen, sich auf eine Bank zu setzen und das Spielfeld anzugucken, aber damit hätte er bloß Aufsehen erregt, und das war das letzte, was er sich leisten konnte.
Auf dem Parkplatz standen schon sehr viele Autos. Disneyland war offenbar, trotz der verhältnismäßig frühen Stunde, schon gut besucht. Johnny beschloß, auch hineinzugehen und in der Menge unterzutauchen. Dann kam ihm der Gedanke, daß es drinnen sicher irgendwo eine Uhr geben würde, die ihm sagen würde, wann er zum Ballspiel aufbrechen mußte.
Die anderen Insassen des Busses waren bereits auf den Beinen und drängelten zum Ausgang. Johnny trottete hinter ihnen her, den Schuhkarton unterm Arm, die Hand in der Hosentasche, die sein spärliches Kapital barg.
Während er in der Schlange vor dem Schalter wartete, informierte er sich über das vielfältige Angebot von kombinierten Karten. Zuerst wollte er sich nur eine simple Eintrittskarte kaufen, aber er spürte instinktiv, wie unnatürlich das gewesen wäre. Die komplizierten Angebote kamen nicht in Frage; er hätte sie in der kurzen Zeit nicht bewältigen können, und sie waren auch viel zu teuer. Er entschied sich für das billigste Programm und schob, als er an der Reihe war, vier Dollar unter dem Fenster durch. Als er das Wechselgeld und sein Couponheft gleichzeitig aufklauben wollte, war ihm der Schuhkarton im Weg. Endlich hatte er es
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