Nicht so laut vor Jericho
Gertrude, »muß man für seine Gäste auch ein Opfer bringen können.«
Nach einigem Hin und Her ließ der Manager sich erweichen, konsultierte sein Vormerkbuch, ob er irgendwo ein Stündchen oder zwei zur freien Verfügung hätte, und teilte mir mit: ja, er hätte.
»Wann?« fragte ich.
»Jetzt gleich.«
Und er trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Auf eine so rasend schnelle Entwicklung der Dinge war ich nicht gefaßt. Außerdem mußte ich erst die Hemmungen überwinden, die ich von meiner humanistischen Erziehung mitbekommen habe. Männliche Lesbier in Frauenkleidung, weibliche in gar keiner und opiumspielende Rouletteraucher sind nicht mein Fall. Ich ließ meinen Wohltäter wissen, daß ich mir die Sache noch überlegen würde.
»Wie Sie wünschen«, sagte er. »Also morgen? Oder übermorgen? Wann? Wann?«
In diesem Augenblick wurde ich glücklicherweise zum Telefon gerufen. Der Mann am andern Ende der Leitung gab sich als Israeli zu erkennen: er halte sich geschäftlich in Hamburg auf, und zwar schon seit längerer Zeit, so daß er füglich von sich behaupten dürfe, die Stadt zu kennen. »Sicherlich wollen auch Sie die Stadt kennenlernen«, fuhr er fort. »Hören Sie auf die Stimme der Erfahrung und gehen Sie nicht allein nach St. Pauli! Erst gestern habe ich mit meiner Frau darüber gesprochen. Sie ist ganz meiner Meinung. Wir dürfen nicht zulassen, daß ein Landsmann in die Klauen der Hamburger Unterwelt gerät. Nicht solange ich hier bin. Ich habe zwar entsetzlich viel zu tun und komme kaum zu Atem – aber wenn Sie darauf bestehen, daß ich Sie begleite…«
»Vielen Dank«, sagte ich, »irgendwie werde ich mich schon durchbringen.«
»Ausgeschlossen! Sie dürfen die unverschämten Weiber, die Ihnen dort auflauern werden, nicht unterschätzen. Die ziehen sich plötzlich nackt aus und schreien, daß Sie ihnen die Kleider vom Leib gerissen haben. Und schon sind ihre Zuhälter da, diese Gangster und Messerstecher – nein, ich kann Sie unmöglich allein lassen! Sind Sie heute abend frei?«
Wir kamen überein, in viertelstündigen Intervallen miteinander zu telefonieren. Der Hotelmanager blieb in der Nähe und legte mir immer wieder ans Herz, daß ich keinem Menschen außer ihm vertrauen sollte. Nach dem vierten Anruf kam ein Page aus der Hotelhalle herbeigeeilt: es wären Leute vom Rundfunk da, die ein originelles Interview mit mir machen wollten, nämlich nicht im Hotel, sondern während wir spazierengingen, irgendwo in der Stadt, gleichgültig wo, vielleicht in St. Pauli, wir könnten dort auch eines oder das andere dieser dreckigen Striptease-Lokale aufsuchen und bekämen eine lebendige Geräuschkulisse aufs Band.
Ich fand den Vorschlag ganz hübsch, wurde jedoch – diesmal nicht vom Manager, sondern vom Portier – eindringlich gewarnt, daß es diesen Gesellen vom Rundfunk doch nur darauf ankäme, unter irgendeinem Vorwand ein Bordell aufzusuchen, und dazu sollte ich mich nicht hergeben. Er, der Portier, beende seinen Dienst um elf Uhr nachts, und das sei genau die richtige Zeit für einen Besuch in St. Pauli.
»Sie müssen unbedingt eine vertrauenswürdige Begleitung haben« , sagte er. »Ich rufe nur noch rasch meine Frau an, um ihr beizubringen, daß ich von einem ausländischen Journalisten dringend als Führer angefordert bin und erst eine halbe Stunde später nach Hause komme…«
Das Blitztelegramm meines israelischen Landsmannes, das mir in diesem Augenblick überreicht wurde, hatte folgenden Wortlaut:
»bin notfalls bereit sie sofort aus ihrem hotel abzuholen stop komme in zehn minuten«.
Die stummen Blicke des Hotelmanagers beschworen mich, ihm treu zu bleiben.
Die Redaktion einer führenden Tageszeitung stellte mir den Besuch eines Interviewers und eines Fotoreporters in Aussicht: die beiden Herren würden mich durch einen interessanten Stadtteil Hamburgs führen, am besten durch St. Pauli, und würden in Wort und Bild festhalten, was ich dort erlebe. Auch der Chefredakteur würde mitkommen. Und der Leiter der Sportrubrik. Und der Herausgeber der Literaturbeilage mit seinem Stab. Zufällig sei auch der Druckereibesitzer gerade anwesend und freue sich, seinen Stiefsohn mitzubringen.
Die Situation wurde nach und nach bedrohlich. Ich wußte nicht, für wen ich mich entscheiden und auf wen ich verzichten sollte. Am Hoteleingang hatte sich bereits eine ansehnliche Menge von opferwilligen Begleitpersonen angesammelt.
Ich trat vor sie hin:
»Wie wär’s und Sie gingen
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