Nicht tot genug 14
Der Name mochte ja großartig klingen, und einige Abteilungen, zum Beispiel die Kardiologie, genossen Weltruf, doch insgesamt wirkten die ganzen Gebäude nicht besser als ein Krankenhaus in der Dritten Welt.
Die halbe Stadt fürchtete sich, hierher zu kommen, weil es gerüchteweise hieß, man sterbe eher an den Krankheiten, die man sich im Royal Sussex holte, als an den Beschwerden, wegen denen man hergekommen war.
Das lag gewiss nicht an den Mitarbeitern, die sich die allergrößte Mühe gaben, das wusste er aus eigener Erfahrung. Nein, er gab der Klinikleitung und der Regierung die Schuld, deren Gesundheitspolitik zu solchen Missständen geführt hatte.
Er ging am Geschenkladen und der aufgemotzten Snackbar vorbei und wich einer älteren Patientin aus, die mit leerem Gesichtsausdruck geradewegs auf ihn zusteuerte.
Sein Zorn wuchs noch, als er an der Rezeption neben einem Plastikblumenstrauß ein Schild mit der Aufschrift LEIDER GESCHLOSSEN entdeckte.
Zum Glück hatte Eleanor schon im Vorfeld herausgefunden, wo man seine Assistentin untergebracht hatte. Die Station befand sich im dritten Stock des Gebäudes.
Die Wände im Treppenhaus waren in fröhlichen Farben gestrichen, doch der Flur, der ihn oben erwartete, wirkte schmutzig und heruntergekommen. Es roch wie in einer Schulkantine, eine Mischung aus Kohl und Kartoffelpüree. Eine junge asiatische Krankenschwester kam auf ihn zu.
»Ich suche die Abteilung Chichester«, sagte Grace.
»Einfach geradeaus.«
Er ging durch eine Glastür und gelangte in einen großen Raum mit sechzehn Betten. Auch hier roch es nach Schulkantine, vermischt mit Urin und Desinfektionsmitteln. Der Linoleumboden war alt und abgenutzt, die Wände verschmutzt. Die geöffneten Fenster gaben den Blick auf ein weiteres Gebäude und einen Luftschacht frei, aus dem Dampf quoll. Die einzelnen Betten waren mit grauenhaft hässlichen Vorhängen nur unzureichend voneinander abgetrennt.
Es war eine gemischte Station, auf der sich anscheinend hauptsächlich geriatrische und psychiatrische Patienten befanden. Grace betrachtete eine kleine alte Dame, deren Hautfarbe sich kaum von den weißen Haarbüscheln auf ihrem Kopf unterschied. Sie schlief, die Wangen eingesunken, den zahnlosen Mund weit geöffnet. Der junge Mann im Bett daneben brabbelte laut vor sich hin, während eine alte Frau ganz am Ende des Raums laut und unverständlich brüllte. Der alte Mann im Bett rechts von Grace hatte sich frei gestrampelt.
Und im Bett daneben entdeckte Grace voller Entsetzen den Menschen, den er hier besuchen wollte.
DC Emma-Jane Boutwood war bei demselben Fall, bei dem Glenn Branson angeschossen wurde, zwischen einem Lieferwagen und einem geparkten Pkw eingequetscht worden und hatte dabei schwere innere Verletzungen und Knochenbrüche erlitten. Man hatte ihr die Milz entfernen müssen. Die Fünfundzwanzigjährige hatte über eine Woche im Koma gelegen, und die Ärzte hatten nach dem Aufwachen zunächst gefürchtet, sie werde nie wieder gehen können. In den letzten Wochen hatte sie jedoch erstaunliche Fortschritte gemacht, konnte ohne Hilfe stehen und sprach schon eifrig von ihrer Rückkehr ins Büro.
Grace mochte sie sehr gern. Sie war eine ausgezeichnete Polizistin, und er prophezeite ihr eine große Zukunft. Doch als er sie so dort liegen sah, blass, mit einem schwachen Lächeln, kam sie ihm vor wie ein verirrtes Kind. Emma-Jane war immer sehr schlank gewesen und wirkte in ihrem Krankenhauskittel geradezu ausgemergelt. Ihr blondes Haar hatte seinen Glanz verloren und sah aus wie Stroh. Der Nachttisch quoll über von Karten, Blumen und Obst.
Ihre Augen sagten mehr als Worte.
»Wie geht es Ihnen?«
»Könnte gar nicht besser sein!«, sagte sie tapfer. »Gestern erst habe ich meinem Dad gesagt, dass ich ihn noch vor dem Herbst im Tennis schlage. Das dürfte allerdings nicht schwer sein. Er spielt beschissen!«
Grace grinste und fragte dann sanft: »Was zum Teufel haben Sie auf dieser Station zu suchen?«
Sie antwortete mit einem Achselzucken. »Man hat mich vor drei Tagen hierher verlegt. Angeblich brauchten sie das Bett auf der anderen Station.«
»Na toll. Möchten Sie denn hier bleiben?«
»Eigentlich nicht.« Grace trat zurück und sah sich im Raum um. Er entdeckte eine junge Krankenschwester, die gerade eine Bettpfanne entfernte. »Entschuldigen Sie, wer leitet diese Station?«
Die Schwester drehte sich um und deutete auf eine gehetzt wirkende Kollegin von etwa vierzig Jahren, die gerade mit
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