Nicht tot genug 14
Verwesungsgestank im ganzen Raum. Dann riefen sie Ghent, damit er seine Arbeit fortsetzen konnte.
Er arbeitete rasch, aber gründlich, während Darren im Hintergrund die Rippen und Schädeldecken der anderen Leichen zersägte. Heute war die Stimmung besonders düster, ganz ohne das übliche Geplänkel. Die Gegenwart einer Kinderleiche wirkte oft sehr viel beklemmender als die eines Mordopfers.
Ghent schoss Fotos mit einer normalen und einer tragbaren Röntgenkamera, machte sich Notizen zu jedem Zahn und nahm abschließend Abdrücke von Ober- und Unterkiefer. Später würde er die ausführlichen Unterlagen an alle Zahnärzte im Umkreis von fünfundzwanzig Kilometern schicken. Falls dies nichts erbrachte, würde er den Umkreis erweitern und notfalls jeden einzelnen Zahnarzt in Großbritannien kontaktieren.
Leider gab es bislang kein internationales System, in dem zahnärztliche Unterlagen erfasst wurden. Falls kein britischer Zahnarzt die Frau identifizieren konnte und Fingerabdrücke und DNA-Analyse ebenfalls nichts erbrachten, würde sie in einem städtischen Grab enden und damit Teil einer tragischen Statistik werden.
*
Nigel Churchman hatte vor kurzem berechnet, dass er in den vergangenen fünfzehn Jahren über 7000 Autopsien in diesem Leichenschauhaus vorgenommen hatte. Dennoch widmete er sich jeder Leiche mit der gleichen Begeisterung. Er war ein Mensch, der seine Arbeit aufrichtig liebte und der Ansicht war, dass jeder, mit dem es zu tun hatte, nur die allerbeste Behandlung verdiente.
Er war ein gut aussehender, durchtrainierter Mann, dessen Gesicht im Augenblick hinter einer grünen Maske verborgen war.
Er vertrieb mit der Hand einige Schmeißfliegen, die um das Gehirn summten, das auf einem Metalltablett neben der geöffneten Brusthöhle lag. Er schnitt das Gehirn sorgfältig in Scheiben und suchte dabei nach Fremdkörpern wie einer Kugel, Schäden, die von einem Messer stammen konnten, oder einem Bluterguss, der auf einen Schlag mit einem schweren Gegenstand deutete. Das Gehirn schien aber völlig intakt.
Die Augen, die fast gänzlich zerfressen waren, lieferten keine Informationen. Das Herz wirkte robust, ohne Anzeichen von Arterienverkalkung. Zurzeit war er noch nicht in der Lage, das Alter genau einzugrenzen, doch nach Zustand und Farbe der Zähne, dem allgemeinen Körperbau und den Brüsten zu urteilen, schätzte er die Frau auf Mitte zwanzig bis Anfang vierzig.
Darren wog das Herz und notierte den Wert in einer Tabelle, die an der Wand hing. Der Pathologe nickte, das Gewicht stimmte mit seinen Schätzungen überein. Dann legte er die Lunge frei und hob sie mit den behandschuhten Händen auf ein Tablett.
Wenige Minuten später wandte er sich an Cleo. »Das ist interessant. Sie ist nicht ertrunken, kein Wasser in der Lunge.«
»Und das heißt?« Eine dumme Frage, denn im Grunde wusste sie natürlich, was es bedeutete.
»Sie war bereits tot, als sie ins Wasser gelangte. Leider muss ich hier die Autopsie unterbrechen und die zuständigen Stellen informieren.«
Nun würde erneut ein Pathologe des Innenministeriums, vermutlich Nadiuska De Sancha, die weiteren Untersuchungen übernehmen. Die unbekannte Frau galt fortan als potenzielles Verbrechensopfer.
80
ROY GRACE NAHM SICH VOR , sich nie wieder an einem heißen Tag in einem engen Raum mit Norman Potting aufzuhalten. Sie saßen nebeneinander vor einem Bildschirm in dem winzigen Zimmer, das an den Vernehmungsraum grenzte. Die Nachmittagssonne brannte gnadenlos auf das Fenster mit der geschlossenen Jalousie, und die Klimaanlage mühte sich vergeblich. Grace war schweißnass, und Potting, der ein weißes kurzärmeliges Hemd trug, dampfte förmlich unter den Achselhöhlen und stank wie ein Schakal.
Außerdem hatte der Detective Sergeant ein stark knoblauchhaltiges Gericht zu sich genommen, was dem Raum eine ganz besondere Note verlieh. Grace kaute Kaugummi und bot Potting auch eins an, da er hoffte, damit den tödlichen Atem ein wenig zu verbessern.
»Nein danke, das überleben meine Plomben nicht.« Er fummelte am Videorecorder herum und ließ eine Aufnahme im Schnelldurchgang zurücklaufen. Grace sah zu, wie Potting, Zafferone und ein dritter Mann rückwärts den Raum verließen und nacheinander durch die Tür verschwanden. Potting hielt das Band an, drückte PLAY und ließ die drei Männer wieder eintreten. »Haben Sie schon ein Profil bei MySpace, Roy?«, erkundigte er sich unvermittelt.
»Dafür bin ich wohl ein bisschen zu
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