Nicht tot genug 14
Bishops Alibi nicht wasserdicht war, blieb genügend Raum für Zweifel. Zwei Zeugen sagten unabhängig voneinander aus, dass er vor und nach dem Mord an seiner Frau in London gewesen sei. Dagegen sprach nur das Foto der Kamera an der Autobahn. Allerdings gab es heutzutage zahlreiche Ganoven, die mit gefälschten Nummernschildern arbeiteten; ein cleverer Anwalt würde den Geschworenen schnell klarmachen, dass dieses Foto nicht über jeden Zweifel erhaben war.
Außerdem interessierte sich Grace für den Künstler, mit dem sich Katie Bishop getroffen hatte. Sie konnten ihn zu diesem Zeitpunkt nicht aus dem Kreis der Verdächtigen ausschließen.
In Gedanken versunken betrat Grace den grell erleuchteten Autopsieraum. Die Leiche von Sophie Harrington war hinter grün gekleideten Gestalten verborgen, die sich über den Seziertisch beugten, während Nadiuska De Sancha ihnen etwas zeigte.
Neben Cleo und Darren waren auch Duigan und Murphy anwesend.
Grace stellte sich neben die Pathologen und erlebte die immer gleiche unangenehme Überraschung, wenn er eine Leiche erblickte. Sie wirkte geradezu ätherisch, da die Haut eine geisterhaft weiße, alabasterähnliche Färbung angenommen hatte.
Man hatte Sophie Harrington auf den Bauch gedreht, und Nadiuska deutete auf Dutzende winziger dunkelroter Löcher im Rücken der Toten. Es sah aus, als hätte man ihren gesamten Oberkörper tätowiert.
»Können Sie alle erkennen, was hier steht?«
Zunächst erschien es Grace nur wie ein unleserliches Muster.
»Angesichts der gleichmäßigen Löcher würde ich sagen, dass sie mit einem Elektrobohrer zugefügt wurden«, erklärte die Pathologin.
»Während das Opfer noch am Leben war?«, erkundigte sich Murphy.
»Post mortem, vermute ich«, erwiderte Nadiuska, beugte sich vor und betrachtete eine Stelle am Rücken ganz genau. »Die Löcher sind sehr tief und haben kaum geblutet. Ihr Herz hat nicht mehr geschlagen, als sie ihr beigebracht wurden.«
Immerhin etwas, dachte Grace. Und dann, wie von Zauberhand, konnte er die Wörter auf einmal deutlich lesen.
WEIL DU SIE LIEBST.
76
GEGEN HALB EINS verließ die brummige Putzfrau Cleos Haus, was der Zeitmilliardär vom Steuer seines Wagens aus registrierte. Das Timing war gut, sein Parkschein lief in wenigen Minuten ab. Die Frau stapfte die Straße hinauf und sprach dabei wütend in ihr Handy. Er ließ den Motor an und fuhr an ihr vorbei. Danach kreuzte er eine ganze Weile durch die Stadt, bis er schließlich Westbourne Villas erreichte, von wo aus er nach rechts in eine Gasse mit Garagen bog. Er hatte die beiden letzten, Nummer 11 und 12, gemietet.
Er parkte vor Nummer 11 und stieg aus, schloss das Garagentor auf, schaltete das Licht ein und schloss das Tor wieder hinter sich. Dann war es still. Nur die beiden Luftbefeuchter summten leise vor sich hin.
Endlich Frieden!
Er atmete tief die warmen Gerüche ein, die er so liebte: Motoröl, altes Leder, Metall. Das hier war sein Zuhause. Sein Tempel! In dieser Garage und der nebenan verbrachte er viele der Stunden, die sich auf seinem Konto angesammelt hatten. Dutzende am Tag! Hunderte im Monat! Tausende im Jahr!
Liebevoll betrachtete er die Schutzhaube und die fließenden Konturen des Wagens, der sich darunter befand: ein schimmernder weißer Jaguar Mk 11 von 1962 mit 3,8-1-Motor, der so viel Platz einnahm, dass er sich seitlich zwischen Auto und Wand vorbeiquetschen musste.
An den Wänden hingen seine Werkzeuge, allesamt poliert und makellos, als habe er sie gerade erst gekauft. Die Hämmer waren zu einem eigenen Muster angeordnet. Ebenso die Ringschlüssel, die Schraubenschlüssel, die Schraubenzieher. Auf den Regalen standen Dosen mit Politur, Felgenreiniger, Chromreiniger, Fensterreiniger, Lederpolitur, daneben lagen Schwämme, Fensterleder, Flaschenbürsten, Pfeifenreiniger – und alle sahen nagelneu aus.
»Hallo, Baby!«, flüsterte er und streichelte über die Haube. »Du bist einfach schön, wunderschön.«
Dann betastete er die Fenster und die Motorhaube. Er kannte jeden Draht, jedes Stück der Verkleidung, jede Mutter und jeden Bolzen, jeden Zentimeter Stahl, Chrom, Leder, Glas, Walnussholz und Bakelit. Sie war sein Baby. In sieben Jahren mühseliger Arbeit hatte er das Wrack, das er in einer alten Scheune entdeckt hatte und in dem Ratten und Mäuse hausten, wieder zum Leben erweckt. Der Jaguar war in einem besseren Zustand als an dem Tag vor über vierzig Jahren, als er die Fabrik verlassen hatte. Zehn Rosetten für
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