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Nicht Totzukriegen

Titel: Nicht Totzukriegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Vaske
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aufwendiges Make-up, wo es doch im Kino vor allem eines ist: dunkel?! Und wieso steckt mein Ehering im Seitenfach meiner Handtasche? Wozu der Aufwand? Dass ich den schnuckeligen Eisverkäufer wiedertreffe, ist doch völlig unwahrscheinlich.
    Keine Bedeutung, nur mal schauen.
    Bin ich so viel zu früh? Im Kinosaal ist noch niemand da, ich bin die Erste, die anderen kommen bestimmt noch.
    Nachdem die Werbung angelaufen ist, weiß ich: Es gibt keine anderen, ich bin in dem Saal allein: Vielleicht ist der Film doch nicht so gut, wie ich meinte, oder er lässt im zweiten Teil stark nach. Das ganze Kino ist leer, nur ich sitze brav in Reihe 7, Platz 12, wie mein Ticket es mir vorschreibt, und vor Verzweiflung sinke ich immer tiefer in meinen Sessel. Was, wenn sie jetzt alles ausschalten, mich einschließen und vergessen? Ich bin im falschen Film, in jeder Hinsicht. Was kann danach noch kommen? Höchstens, dass ich bei uns im Haus die Sicherungen rausdrehe und den Elektriker rufe, und dann erwarte ich ihn halbnackt, mime die Ahnungslose und lotse ihn ins Schlafzimmer.
    Ein zweiter Zuschauer kommt, o Wunder! Männlich, etwa in meinem Alter, Typ weltferner Polarforscher, vielleicht geht er deshalb gern ins Kino, da hat er ebenfalls lange Dunkelphasen. Er trägt Trekkingsandalen und eine verschlissene Outdoor-Jacke, sein Bart wuchert ungestutzt den Hals hinab. Wahrscheinlich riecht er auch wie nasser Hund. Er nimmt in derselben Reihe exakt vier Sitze von mir entfernt Platz, er grüßt in dem Halbdunkel nicht und sieht mich nicht an, er mampft nur seine Nachos.
    Aber jede Katastrophe ist noch steigerungsfähig: Zwei Werbespots später steht er plötzlich auf und rückt einen Sitz näher zu mir. Ich flüchte.
    Es war eine bescheuerte Idee, erneut hierherzukommen, nur um vielleicht denselben süßen Typen noch mal zu treffen. Wie albern von mir, geradezu kindisch, wahrscheinlich hat er mich sowieso längst vergessen. Ich drücke die schwere Tür auf und schlüpfe hinaus auf den Gang. Das Schöne an diesen Filmpalästen ist, dass, wenn man erst mal drin ist, niemand mehr die Karten kontrolliert. Man kann also fast nach Belieben den Film wechseln. Also werde ich einfach in ein anderes Kino gehen, in dem hoffentlich mehr los ist und niemand im Publikum aussieht, als würde er Hering roh essen und sich nur mit Eisbären und Pinguinen unterhalten.
    So, mal schauen, welche Filme noch laufen. Ich suche nach einer großen Übersicht, vielleicht liegen auch Programmzettel aus.
    »Guckst du Filme nie zu Ende?«, tönt es hinter mir. Ich drehe mich um: der Eisverkäufer. Er schaut zu dem Monitor hoch, der den Filmtitel anzeigt.
    »Der ist aber auch blöd. Warst du nicht letzte Woche schon drin? Wieso gehst du noch mal rein? Seitdem ist er nicht besser geworden.«
    »Weiß auch nicht«, stammele ich.
    »Geh mal in Kino 5. Der da läuft, ist cool, den musst du sehen! Wenn du dich beeilst, schaffst du’s noch rechtzeitig zum Anfang.«
    Ich mache mich gleich auf den Weg.
    »Hey, warte«, ruft er mir hinterher, ich dreh mich um: »Was ist?«
    »Dein Eis.« Er reicht mir ein Magnum, wie aufmerksam. »Bis später«, verabschiedet mein Eismann mich, und er schenkt mir dabei das wunderbarste Lächeln der Welt. Ist der süß!
    In Kino 5 suche ich mir einen Sitzplatz an der Seite, den mir hoffentlich niemand mehr streitig machen wird, mache mich in meinem Sessel ganz klein und bin glücklich. Hoffentlich sieht im Dunkeln niemand, wenn meine Wangen vor Aufregung rot glühen.
    Es hat keine Bedeutung, ich will nur mal schauen.

24
    Er heißt Björn. Nach dem Film hatte er tatsächlich auf mich gewartet, so wie schon eine Woche zuvor, was charmant ist, im Nachhinein aber mein Alibi für meinen Mord Nr. 1 endgültig in Trümmer schlägt. Wir haben kurz geplaudert, er war sehr nett, und ich schätze, er ist auch gar nicht viel jünger als ich, fünf Jahre vielleicht, na ja, oder sechs, also habe ich ihm meine Telefonnummer gegeben. Und wenn er ein guter Junge ist, ruft er mich bald an und lässt mich nicht zu lange zappeln. Was ich mir von der Angelegenheit verspreche, weiß ich ehrlich gesagt selbst nicht. Bis jetzt ist es auf angenehme Art aufregend.
    Während ich in der Agentur die Unterlagen für eine Pressekonferenz zusammenstelle, die wir zum Firmenjubiläum der Klebstoffkocher abhalten, klingelt das Handy; im Display erscheint eine unbekannte Nummer. Björn? Wer sonst. Es ist 15 Uhr, wahrscheinlich die Zeit, zu der Kino-Eisverkäufer zu Ende

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