nichts als die wahrheit
fragen, versuchte sie sich einzureden. Sie wollen dich provozieren. Sie wollen, daß du unvorsichtig wirst und zur Verteidigung etwas herausstotterst, das sie gegen dich auslegen können.
Aber ihre Euphorie war einer tiefen Beunruhigung gewichen. Woher wissen sie, daß Zettel Bunge erpreßt hat? Woher wissen sie, daß Peter und sie … Aber sie hatten doch gar nicht … Ihr wurde übel. Wer sich verteidigt, klagt sich an, dachte sie. Sag lieber nichts. Doch statt Beunruhigung empfand sie plötzlich Furcht. Denn woher wissen sie …?
Die Zeit schien stillzustehen. Ihre Augen suchten im Pulk ein bekanntes Gesicht, jemanden, dem sie vertrauen, auf den sie setzen konnte. Und plötzlich sah sie es rot aufleuchten hinter dem Meer der weißen Gesichter. Es war das Jackett von Isolde Menzi, die am Rande der Versammlung stand, so, als ob sie mit alledem nichts zu tun hätte. Anne glaubte in ihrem Gesicht Spott zu lesen – Spott und Genugtuung. Als ob sie wußte, was hier gespielt wurde.
Die Menzi, dachte Anne. Sie hat die Meute auf mich gehetzt.
Dann kam wieder Bewegung ins Bild. Die Fernsehkameras surrten, die Verschlüsse der Fotoapparate klickten, die Schreibblöcke waren erwartungsvoll erhoben, manch einer hielt ihr sogar den Bleistift entgegen, als sei er eine Waffe.
»Ich habe Ihnen nichts zu sagen, meine Damen und Herren«, hörte Anne sich mit fester Stimme erklären. Dann drehte sie sich um und schritt mit hocherhobenem Kopf an dem Journalistenpulk vorbei, Richtung Plenarsaal. Flüchtig wunderte sie sich, daß niemand sie daran hinderte.
Walter stand schon an der Tür und hielt sie ihr auf. Heute machte er keinen Scherz, wie er das sonst zu tun pflegte. Er sah ungewohnt ernst, ja verlegen aus.
In diesem Moment ging ihr auf, wie todernst die Lage war. Sie hatte einen Feind. Und sie wußte nicht, wer es war.
11
»Peter Zettel kann Hans Becker nicht erschossen haben – er war längst tot.« Karen Stark konnte ihre Aufregung nicht ganz unterdrücken. Wanka war anständig genug gewesen, sie sofort von dem Leichenfund im Bunker zu benachrichtigen.
Frank Sonnemann hockte wie ein trauriger Pinguin hinter seinem Schreibtisch.
»Frank!« sagte Karen ungeduldig. »Verstehst du, was das heißt?«
Er nickte wie in Trance.
»Was könnte Hans Becker herausgefunden haben, das so gefährlich war, daß jemand ihn töten mußte?«
Frank Sonnemann schüttelte hilflos den Kopf. Karen seufzte auf, klopfte ihm auf die Schulter und verließ das Büro.
In der Redaktion war man der Meinung, Peter Zettel sei auf der Suche nach dem Bernsteinzimmer umgekommen. Er sei nicht das erste Opfer dieses monströsen Kitsches, hatte Jo Eyring gesagt – und sich keine Mühe gegeben, die Genugtuung in seiner Stimme zu verbergen.
»Erst Bunge, dann Zettel, dann Becker« – so sah es Lilly E. Meier. Karen drehte sich mit dem Zeigefinger Löckchen in die roten Haare. Ein Selbstmord, ein Unfall, ein Mord. Wie zum Teufel hingen diese Tode zusammen? Und was hatten Alexander Bunge und Peter Zettel, Hans Becker und Anne Burau gemeinsam?
Gewiß war nur eines: Es gab bloß eine Überlebende in diesem Quartett.
Sie saß allein im Konferenzraum, vor sich den Block mit ihren Protokollen. Sie mußte nicht weit zurückblättern, bis sie fand, was ihr schon damals aufgefallen war, ohne ihm Bedeutung zuzumessen.
»Scheiße!« sagte sie laut und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Dann stand sie hastig auf.
»Ich möchte gerne noch einmal mit Frau Meier sprechen!« Der Vorzimmerdrache namens Novak sah sie aus müden Augen an.
»Sie hat vor zehn Minuten das Haus verlassen!«
Karen dachte einen Moment nach. »Sie wissen nicht zufällig, wohin sie gegangen ist?«
»Aber sicher weiß ich das!« Die Frau gewann langsam ihre steife Würde zurück.
»In den Reichstag! Sie hat doch noch ein Porträt zu schreiben!«
Karen mußte nicht fragen, über wen. Als sie das Büro verlassen hatte, begann sie ihre Schritte zu beschleunigen.
Vor dem Reichstagsgebäude standen die Menschen Schlange. Die riesige Glaskuppel und die Aussichtsplattform waren die neuen Attraktionen Berlins. Karen umrundete die Menschenmassen und zeigte am Eingang ihren Ausweis vor. Der Saaldiener, den sie nach Lilly E. Meier fragte, war jung, hatte glänzend schwarzes, gegeltes Haar und trug einen Ring im Ohrläppchen.
»Ich habe sie doch eben noch gesehen«, sagte der Mann und blickte sich suchend um.
»Sie hat Frau Burau herausgebeten. Vielleicht« – er schaute auf seine
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