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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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süffisant gesagt und ihm die Stellen gezeigt, an denen der Lack sich wie eine aufblühende Rose vom Autoblech zu heben begann.
    Kosinski pfiff jetzt doch, als er die Straße überquerte. Bad Moosbach war eine nette kleine Kreisstadt mit einer schönen Altstadt aus prächtigen Fachwerkhäusern. Nur an der Hauptstraße, die um den Ort herumführte, reihten sich Flachdachhäuser der 60er Jahre aneinander – häßliche Schachteln, aber für Gewerbebetriebe und Autowerkstätten genau das richtige. Die wenigen älteren Häuser waren grau und heruntergekommen. Hier wohnten schon immer die Außenseiter, die nicht oder nicht so ganz dazugehörten.
    Jetzt lebte im Eckhaus eine Roma-Familie mit sechs Kindern und unzählig vielen Tanten, Onkeln, Neffen und Nichten, die den Unmut der Bürger erregten, weil die fünf Mülltonnen im Hof stets überquollen – und immer Plastiktüten mit Abfall daneben standen. Weil das Brennholz nicht ordentlich gestapelt war, sondern im Haufen neben einem schon ziemlich zerfransten Hackklotz lag. Weil die Frauen schlechte Zähne hatten und aussahen, als ob ihre Männer sie verprügelten. Weil …
    Kosinski grüßte die Alte, die soeben die Haustür aufmachte und eine weitere Plastiktüte neben die anderen stellte. Sie trug ein Kopftuch und eine Schürze und lachte ihn breit an. Schlechte Zähne. Wer sagt’s denn.
    Jo Reining begrüßte ihn mit einem Espresso, fragte nach Beate und Thea und, wie er es immer tat, nach seinen neuesten »Fällen« und präsentierte ihm erst nach diesem Ritual die Rechnung.
    »Und du willst nicht vielleicht doch einmal eine Probefahrt machen? Mit unserem neuesten Modell …?«
    Kosinski runzelte die Augenbrauen und sah ihn scharf an. »Nix da. Und versuch bloß nicht wieder, meine Frau zu verführen.«
    Reining zuckte die Schultern und hielt ihm die Wagenschlüssel hin, als hätte er sie aus der Gosse gefischt. »War ja nur ’ne Frage.«
    »War ja nur ’ne Antwort.«
    Der alte Escort sprang an wie eine Eins. Kosinski lehnte sich zufrieden in die schon ziemlich nachgiebig gewordene Rückenlehne und kutschierte das Auto aus dem Hof hinaus, die Hauptstraße hinunter. Vor dem neuen Großmarkt standen Menschentrauben an luftballongeschmückten Ständen. Das war das dritte Volksfest in zwei Jahren vor einem neueröffneten Supermarkt – man fragte sich, wie die alle überleben wollten. Bad Moosbach hatte fünf Supermärkte! Fünf! Alle auf der grünen Wiese, alle Backe an Backe. Wahnsinn.
    Und dabei hatten die Moosbacher noch Glück gehabt. In Ottersbrunn war gleich der ganze alte Ortskern zum »Gewerbepark« geworden. Da, wo bis in die 70er Jahre Fachwerkhäuser gestanden hatten, die plötzlich alle auf einmal baufällig und von der praktisch denkenden Gemeindeverwaltung zum Niedermähen freigegeben worden waren, gab es jetzt große, fensterlose Betonschachteln – ein Baumarkt, ein Getränkemarkt, ein Rewe-, ein Edeka- und ein Schlecker-Markt. Im Postgebäude aus Sichtbeton hing ein langsam verblassendes Foto aus dem Jahr 1972. Es zeigte die alte Poststation: ein Sahnetörtchen von Fachwerkschloß mit Giebeln, Türmen und Balkons.
    Man ist ja nicht sentimental, dachte Kosinski. Aber irgendwann war nichts Altes mehr übrig. Und irgendwann würden die Großmärkte einer nach dem anderen pleite gehen.
    Und dann? Abreißen?
    Und danach? Das städtebauliche Nichts? Der Mut zur Lücke?
    Auf der Bundesstraße war nichts los. Fast hätte er gebremst, als er auf dem Feldweg kurz vor Ottersbrunn einen tomatenroten Pickup sah, wie ihn sich Leute halten, die für die Fahrt aufs Land was Spezielles zu benötigen glauben. Der Wagen fuhr im Schrittempo, damit der verfettete Rottweiler, der hinter ihm herzockelte, noch mitkam. Hunde mit dem Auto Gassi führen – und das auch noch da, wo es außer Anwohnern (hier wohnte niemand) und landwirtschaftlichen Fahrzeugen (dies war keins) niemandem erlaubt war! Und außerdem – ein freilaufender Hund – Fahrradfahrer … Jogger … und nebenan war ein Naturschutzgebiet …
    Kosinski guckte auf die Uhr, schüttelte dann den Kopf, hupte nachdrücklich und fuhr weiter.
    Idioten gab’s. Der Mann dachte sich wahrscheinlich nichts dabei. Und er ahnte sicher noch nicht einmal, daß er sich auf diese illegale Weise auch noch gänzlich um das brachte, was Beate den »gesundheitlichen Mehrwert« nannte, den so ein Hund abwerfen konnte. Gesundheitlicher Mehrwert! Fast hätte Kosinski laut aufgelacht. Lernte man solch einen Schwachsinn als

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