Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
Tod hinaus noch ein Recht zu haben schien, Alexander Bunge.
    Endlich kamen die Herren zum Ende und Anne fühlte sich mit schulmädchenhafter Erleichterung gerade noch einmal davongekommen. Zu früh gefreut. Als sie hinausgehen wollte, faßte ein glatzköpfiger Abgeordneter mit dottergelber Bärchenkrawatte zum braunkarierten Sakko sie am Ellbogen und flüsterte: »Mutig, mutig!«
    Anne reagierte instinktiv. »Braucht man das hier?«
    Der andere grinste. »Ich meine nur: Sie treten ein schweres Erbe an.«
    »Das ist mir auch schon aufgefallen.«
    »Heute schon Zeitung gelesen?«
    Anne zögerte. Dazu hatte sie keine Zeit gehabt. »Hab’ ich etwas versäumt?«
    »Wie man’s nimmt.« Der andere grinste immer maliziöser. »Wenn ich mich nicht verzählt habe: Ziemlich genau achtzehn Zeilen im ›Journal‹.«
    Zu ihrem Ärger merkte sie, wie sich ihr Puls beschleunigte.
    »Machen Sie sich nichts draus«, sagte der andere tröstend, winkte ihr zu und reihte sich ein in den Strom aufeinander einredender Männer, die den Sitzungssaal im Gänsemarsch verließen.
    In der Lobby traf sie einen strahlenden Emre Özbay. »Willst du den neuesten Witz hören?«
    Eigentlich nicht. Aber war nicht der anatolische Niedersachse derzeit ihr einziger Freund? Also nickte sie matt.
    »Der Verteidigungsminister kommt ins Plenum und hat den Arm in Gips.« Emre grinste, als ob schon das witzig genug wäre.
    »Fragt ihn der Kulturminister: ›Wo hast du dir das denn geholt?‹ Sagt der Verteidigungsminister: ›Unfall beim Fahrradfahren.‹«
    Emre guckte sie erwartungsvoll an. Anne lächelte pflichtschuldig. War das schon der Witz gewesen?
    »›Ist das nicht bereits das zweite Mal?‹ fragt darauf der Kulturminister. ›Vielleicht wechseln Sie besser die Sportart. Ich empfehle Tai chi‹ …«
    Emre bog sich vor Lachen.
    »Emre –« Anne deutete hilflos auf den Ausgang.
    »Du hast was Wichtigeres vor? Dann geh! Geh!« sagte Emre und machte scheuchende Bewegungen mit beiden Händen.
    Anne hastete hinüber in ihr Büro. Daß es in einem Altbau untergebracht war, hatte sie zuerst kaum wahrgenommen. Plötzlich fiel ihr auf, wie groß das Gebäude war, wie imposant, wie ausladend. Und – wie kalt.
    »Die Zeitungen?« fragte sie, als sie Mechthild Zang am Schreibtisch sitzen sah, den Telefonhörer am Ohr.
    »Momentchen«, hauchte die Zang, legte die Hand auf den Hörer und drehte sich ohne Eile zu Anne um.
    »Die Zeitungen!« sagte Anne, ungeduldig.
    »In Ihrem Büro, auf dem Schreibtisch.« Die Sekretärin machte eine leidende Miene und wandte sich wieder ihrem Telefongespräch zu.
    Anne zog geräuschvoll die Tür hinter sich ins Schloß und ließ sich aufatmend in den Schreibtischsessel fallen. Als ob er sie verhöhnen wollte, guckte ein milde lächelnder Alexander Bunge auf sie herab. Die Zang hatte das Foto mit der schwarzen Schärpe, das sie ihr auf den Schreibtisch gelegt hatte, wieder zurückgestellt ins Bücherregal.
    Anne stöhnte auf und durchblätterte dann mit nervösen Fingern den Zeitungshaufen. Das »Journal« lag zuunterst. Und die Meldung stand auf Seite 2, zusammen mit einem Foto, auf dem sie wie das Heidi bei der Ankunft in der Großstadt aussah – nur die Zöpfchen fehlten.
    »Vom Elend der Quote« lautete die Überschrift, und »Geschlechterproporz statt Qualität?« die Unterzeile. Anne merkte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg, je weiter sie las. Das »Journal«, so ließen sich die boshaften achtzehn Zeilen zusammenfassen, bedauerte den Tod von Alexander Bunge, obwohl es an dessen Hinscheiden, wenn Anne das richtig sah, nicht eben unmaßgeblich beteiligt war. Und es bedauerte insbesondere, daß die Frauenquote dazu geführt habe, daß eine völlig inkompetente Landwirtin diese verantwortliche Position übernehmen müsse, eine Frau überdies mit einer skandalösen Vergangenheit, über die das »Journal« nichts Genaues verlauten ließ, außer, daß die Stasi und ein Mordfall in Annes Leben eine Rolle gespielt hätten.
    »Wer einen beschaulichen Ökobauernhof bewirtschaftet, hat sich damit noch nicht für die Aufgabe qualifiziert, der neuen Hauptstadt ein Gesicht zu geben.«
    Anne las sich den letzten Satz laut vor. Beschaulich? Der Weiherhof? Fast hätte sie gelacht – wenn sie nicht heute im Ausschuß ein ähnliches Gefühl gehabt hätte. Die Baukommission bewegte eine geradezu gigantische Summe Geldes. Einem Vergleich mit ihrem kleinen, mittelständischen Betrieb hielt das nicht stand.
    Frustriert warf sie das

Weitere Kostenlose Bücher