nichts als die wahrheit
Magazin in die Ecke und hätte dabei beinahe Alexander Bunges Porträt vom Bücherregal gewischt. Wieder zuckte sie zusammen, als das Telefon ertönte, mit diesem gräßlichen, süßlichen Gedudel.
»Ja?« fragte sie vorsichtig, in Erwartung eines weiteren anonymen Anrufs.
»Mit Verlaub, Anne, aber so geht das nicht.« Der Fraktionsführer ihrer Partei glaubte nicht an die Segnungen der Höflichkeit und kam gleich zur Sache. »Wenn du schon nicht mehr weißt, worauf es in der Politik ankommt, dann solltest du dich wenigstens der Presse gegenüber zurückhalten.«
»Ich habe nicht …«
»Man muß nicht in jedes Mikrofon reden, das einem hingehalten wird.«
»Aber ich habe …«
»Und für ein Porträt im ›Journal‹ muß man sich ebenfalls nicht gleich um Kopf und Kragen reden.«
»Jupp …«
»Ich weiß, was du sagen willst, Anne. Kiel ist lange her. Um so wichtiger, daß du nun endlich in Berlin ankommst. Wir brauchen, vor allem derzeit, Disziplin.«
Als Jupp das Gespräch beendet hatte, legte Anne den Hörer ganz, ganz behutsam auf. Am liebsten hätte sie mit ihm geworfen.
Und dann endlich kam die Wut, die große, erlösende Wut. Jetzt reicht es, du Mistkerl, dachte sie, während sie die Nummer der »Journal«-Redaktion eingab.
»Ja bitte?« antwortete eine kühle Frauenstimme. »Wen wollen Sie …? Peter Zettel?« Sie hörte die Ungeduld in der Stimme der anderen. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen Auskunft …«
»Vielleicht richten Sie ihm etwas aus?« Auch Anne hatte nicht mehr viel Geduld zur Verfugung.
»Von wem bitte?« kam es spitz zurück.
»Sagen Sie ihm, er möchte dringend Anne Burau anrufen.«
»In welcher Angelegenheit, bitte?«
Was ging das diesen Vorzimmerdrachen an? »Ich bin Mitglied des Bundestags«, sagte sie mit fester Stimme.
Die Person am anderen Ende der Leitung drosselte die menschliche Wärme in der Stimme um ein paar weitere Grade. »Sehr wohl.« Dann unterbrach sie die Verbindung.
Plötzlich konnte Anne es kaum noch erwarten, Peter Zettel endlich all die Verachtung entgegenzuschleudern, die sie in den letzten Monaten gegen sich selbst gerichtet hatte. Seine Privatnummer stand in ihrem Telefonbuch noch vor seinem Anschluß beim »Journal«. Sie ließ es lange klingeln – bis schließlich der Anrufbeantworter ansprang. Als sie seine heitere Stimme vom Band hörte, steigerte sich ihre Wut. Wahrscheinlich, dachte sie, hockt der Kerl direkt neben dem Apparat und läßt seine Anrufer erst vorsprechen, bevor er abnimmt. Mit mir nicht.
Aus Trotz schwieg sie mindestens eine Minute lang ins Telefon. Dann suchte sie Zettels Adresse aus dem Telefonbuch heraus. Sie wollte endlich eine Antwort von ihm. Worauf auch immer.
Als sie zehn Minuten später aus dem Büro kam, hatte die Zang wieder den Telefonhörer am Ohr. Diesmal legte sie hastig auf.
»Die Ausschußprotokolle«, sagte sie.
»Ich brauche sie noch heute«, hörte Anne sich antworten.
»Ja – also …«
»Also was?«
»Sie sind nicht verfügbar.«
»Was heißt das?« Anne spürte, wie sich der Frust des ganzen Tages in ihr zusammenballte. Ihre Stimme war vor Zorn eine Note höher gerutscht.
Sogar Mechthild Zang guckte betreten, aber Anne glaubte, unter ihrer betroffenen Miene leisen Triumph zu entdecken. »Nun – sie stehen zur Zeit nicht zur Verfügung.«
»Wie bitte?«
»Ich habe es besonders dringlich gemacht. Aber …«
Anne hätte fast die Beherrschung verloren. Statt dessen nickte sie, griff sich das Jackett und stürmte aus dem Büro. Irgend jemand versuchte ihre Arbeit zu sabotieren. Ihr im Wege zu stehen. Sie mürbe zu machen. Aber wer? Und warum?
Erst als sie im Plenarsaal angekommen war, beruhigte sie sich wieder. Es war die letzte Sitzung in dieser Woche. Die würde sie auch noch überstehen.
9
Rhön
Der Frühnebel stieg in zarten Schleiern aus der Talsenke empor, von woher gedämpft die Glocken klangen, die einige der braunen Rinder um den Hals trugen. Bremer fuhr langsamer und wünschte, auch seine Laune würde sich langsam mal heben. Dann duckte er sich über den Lenker und ließ sich die abschüssige Straße Richtung Waldburg hinunterfallen. Schon am Dorfeingang stieg ihm der vertraute Geruch in die Nase, der diese Jahreszeit begleitete wie kürzer werdende Tage, reifende Äpfel und leuchtende Farben: Holzfeuer, dachte er. Jetzt begann sie wieder, die Heizperiode und damit die Abende vor dem flackernden Kamin. Fast konnte er es nicht mehr erwarten.
Er bog ohne zu bremsen in die Straße
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