nichts als die wahrheit
Anwältin zusammenzuckte. Die Müdigkeit auf ihrem Gesicht wich mißtrauischer Wachsamkeit, als sie Karen sah.
»Frau Stark.« Sie nickte Karen zu.
»Frau Manning.« Karen nickte ebenso förmlich zurück. »Haben Sie eine Minute …?«
»Auch zwei, Frau Kollegin.« Edith Manning bemühte sich um ein Lächeln.
»Es geht um Dr. Alexander Bunge.« Wieder glaubte Karen das Mißtrauen im Gesicht der anderen aufflackern zu sehen. »Die Todesanzeige …«
Die Frau machte eine ungeduldige Handbewegung. »Er hat den Text selbst entworfen.«
Karen klappte erstaunt den Mund wieder zu. »Wann?« fragte sie dann.
»Ein paar Wochen – davor. Ein entsprechender Brief war seinem Testament beigefügt.«
»Und – Sie?« Karen wußte nicht genau, wie sie sich ausdrücken sollte. War Edith Manning die Schwester oder eine andere Verwandte Bunges?
»Ich sah keinen Anlaß, seinen letzten Willen zu ignorieren«, sagte Manning mit steifer Würde.
»Ich meine –«
»Ich weiß, was Sie meinen, Frau Kollegin. Ich war seine Frau.«
Für einen Moment konnte Karen ihre Überraschung nicht verbergen. Sie hatte Bunge für alleinstehend gehalten.
Edith Manning blickte sie fast zornig an und sagte dann leise: »Ist das so ungewöhnlich?«
Ungewöhnlich? Nichts, dachte Karen, war gewöhnlicher als eine Ehe. Selbst daß beide Ehegatten ihren Namen beibehielten, galt mittlerweile nicht mehr als exotisch. Dennoch fand sie ihren Irrtum verzeihlich – von einer Ehefrau hatte Manfred Wenzel ihr nichts gesagt. Und in der Akte hatte sie die Seiten mit den biografischen Daten überblättert.
Karen merkte, daß Edith Manning fast unhörbar, aber deutlich sichtbar mit nervösen Fingern auf den Schreibtisch klopfte.
»Der Anzeigentext stammt also von ihm. Das läßt auf Vorbedacht schließen«, sagte sie.
»Läßt es wohl.« Die Finger hörten nicht auf zu trommeln.
»Ihr Mann hing also an der Wahrheit mehr als am Leben.«
»So hört sich das an, oder?« Edith Manning hatte eine für eine erfolgreiche Anwältin untypische Spur von Trotz in der Stimme.
»Bezog sich das – auf den Artikel im ›Journal‹?«
Edith Manning lachte auf, kurz, trocken und, wie Karen verwundert feststellte, ordinär.
»Die Wahrheit jedenfalls hat im ›Journal‹ nicht gestanden!«
»Woher wissen Sie das? Die Ehefrauen sind in solchen Fällen meistens die letzten, die die Wahrheit erfahren …«
Die Anwältin hörte abrupt auf, mit den Fingern auf den Tisch zu klopfen und steckte beide Hände in die Taschen ihres Jacketts. Dann zog sie die Schultern hoch und sagte mit unverhohlenem Sarkasmus: »Wir hatten weniger Geheimnisse voreinander als andere Eheleute.«
Sie mußte Karen angesehen haben, daß sie ein ebenso sarkastisches »Das sagen sie alle!« auf den Lippen hatte, jedenfalls fügte sie hinzu: »Es gab keinen Grund, mir irgend etwas in dieser Art zu verschweigen.«
Als Karen noch immer ungläubig guckte, sagte Elisabeth ungeduldig: »Er war kein Päderast. Er stand nicht auf kleine Jungen. Er mochte Männer – erwachsene, normalgewichtige, virile Männer.«
Karen Stark fühlte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg. Wie konnte sie nur so blöd sein! Kein Wunder, daß Manfred Wenzel sich befangen fühlte.
»Auch das ist nicht so ungewöhnlich.« Edith Manning klang wie ein trotziges Kind, das mit dem Fuß aufstampft, während es »Alles ganz normal!« ruft.
»Nicht?« Karen merkte, wie ungläubig sie klang. Aber Edith Manning hatte ihren Sarkasmus abgestreift und sah plötzlich jung und verloren aus.
»Wir waren eine richtig glückliche Familie. Und wir führten eine wunderbare Ehe. Es war eine in allen Punkten gute Ehe.« Sie lächelte matt, als sie Karens Gesicht sah. »Ist doch ganz einfach: Er wollte Kinder, aber keinen Sex mit einer Frau. Ich wollte Kinder, aber keinen Sex. Punkt.«
Karen sah, wie sie die Hände in den Jackettaschen ballte und dann wieder entspannte.
»Kinderpornografie! Alexander! So ein Schwachsinn!«
»Die Karriere eines Abgeordneten kann durch solche Gerüchte schnell beendet werden.«
»Aber wenn es doch nicht stimmte … «
»Warum ist er dann gesprungen?«
»Ist er das?« Edith Manning hatte wieder die Hände geballt.
»Was sonst?«
Die Strafverteidigerin zuckte mit den schmalen Schultern. Plötzlich standen auch ihr die Zweifel im müden Gesicht.
Karen fühlte plötzlich tiefes Mitleid mit der Frau, die mit einem Mal ganz verloren aussah in dem leeren Verhandlungssaal. Sie gab Edith Manning die Hand, als sie
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