nichts als die wahrheit
Kolleggelände bewohnte.
Eddie Pinkerman, der sonst so überströmend herzliche, etwas rundliche Soziologe aus Harvard mit den warmen braunen Augen, hatte den Vorsitz der Partei der Hundefreunde übernommen.
»Es war freezing heute nacht!«
»Das wird doch wohl einem Schäferhund aus Kanada nichts ausmachen!«
Ernst v. Weißmann, deutscher Historiker und Anführer der Gegenfraktion, saß aufrecht und streng da und wirkte schon deshalb wie ein Mann aus alter »Hart-wie-Kruppstahl«-Schule. Jonathan sah zu Pinkerman hinüber, dessen weiche Wangen gerötet waren und vor Erregung zu zittern schienen. Der Haß, mit dem er v. Weißmann betrachtete, war fast physisch zu spüren. Frei tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. Er verstand den Kollegen Pinkerman nicht. Die Geschichte war seiner Meinung nach überreich an Beispielen dafür, daß die übertriebene Liebe zu Hunden nicht notwendigerweise mit einem guten Charakter zusammenging. Also dürfte wohl auch das Gegenteil zutreffen.
»Und warum hat the poor brat gejault der ganze Nacht?« Pinkermans Deutsch war ihm von anderen Konferenzen als makellos in Erinnerung. Der Soziologe mußte außer sich sein vor Empörung.
»Daß Ihnen das nicht gefällt, verstehe ich gut.« v. Weißmann bewahrte die Fasson. »Vielleicht bitten Sie das Direktoriat um eine andere Wohnung?«
Frei sah aus den Augenwinkeln, wie Pinkermans Frau ihm beruhigend die Hand auf den Arm legte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Vielleicht einen guten antideutschen Witz. Jedenfalls lachte der Blonde plötzlich laut auf und sah von der Seite zu v. Weißmann hinüber. Der hatte den kantigen Kopf mit der gescheitelten Frisur gesenkt und goß Rotwein in das Glas seiner Tischnachbarin.
»Geht das immer so zu hier?« fragte Frei sein Gegenüber. Vetter war bereits seit einer Woche hier.
»Pinkermans Hündin darf in seinem Bett schlafen – wenn auch nur am Fußende.« Carl Vetter hob den gekrümmten rechten Zeigefinger in Richtung auf die eigene Stirn. »Und Weißmann haßt Hunde, vor allem Pinkermans Töle, seit sie ihm die ganze Hose verschlabbert hat.«
»Andere Probleme gibt’s nicht?«
Der Literaturwissenschaftler grinste. »Kann ja noch werden. Im letzten Jahr soll es zu wiederholter ehebrecherischer Aktivität, zu mehrfachem nächtlichen Nacktbaden im Koenigssee und zu einer Schlägerei gekommen sein.«
Frei nickte dankend der Bedienung in der weißen Kittelschürze zu, die ihn von seinem Salatteller befreite.
»Keinen Appetit?« Vetter guckte mitfühlend.
Jonathan schüttelte den Kopf. Keinen Appetit – nur einen großen Widerwillen. Er hatte die Sache aufgeben, er hatte sich nicht weiter mit ollen Kamellen, windigen Gerüchten und schmutzigen Geschäften herumschlagen wollen. Aber mit einem Mal interessierte ihn das alles mehr, als ihm recht war. Er wollte wissen, wer sie war und was sie dort suchte. Die blonde Frau, die Anne Burau hieß und Bundestagsabgeordnete war.
»Sie seufzen, Jon.« Agneta Kristeva sah ihn an, eine Mischung aus Belustigung und Sorge im Blick. »Denken Sie auch an den Einbruch im Louvre?«
Er seufzte noch einmal auf, theatralisch diesmal. »Agneta … Um die Wahrheit zu sagen …«
Sie spielte mit der Serviette und richtete den Blick in die Ferne. »Ich meine – es ist schrecklich, oder?« Aus ihrer Stimme war jede Belustigung verschwunden.
Er nickte. Natürlich war es das. Es war Kunstmord, es war Körperverletzung, einen Pisanello und einen Caravaggio aus ihren Rahmen herauszuschneiden und, womöglich auch noch zusammengerollt, wegzuschaffen. Er hatte plötzlich Michelangelo Caravaggios »Amor als Sieger« von 1602 vor seinem inneren Auge – den nackten Knaben mit Flügeln und braunen Locken, dessen spöttisches Lächeln allen Verliebten eine Warnung sein sollte.
»Wer tut so etwas?«
»Gut bezahlte Ganoven.« Hochbezahlt von Fanatikern, denen es nicht genügte, große Werke im Museum zu sehen. Sie mußten sie besitzen und sie in ihren Schatzkammern einschließen, wo sich niemand an ihnen erfreute außer ihnen selbst.
»Fragt sich nur, wie es die Kerle immer wieder schaffen, die neuesten und angeblich unbesiegbaren Sicherheitssysteme zu überlisten.« Die Kristeva zerbröselte eine Scheibe Weißbrot zwischen den schmalen Fingern.
»Die schwächste Stelle in jedem System ist der Mensch.« Einer aus der Wachmannschaft der Kunsthalle war nach dem Raub verschwunden, hatte in der Zeitung gestanden. Die Polizei glaubte, daß er entweder Mittäter war oder doch
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