nichts als die wahrheit
dessen Wohnungstür gestanden hatte – benebelt vor Verliebtheit, dachte sie und verzog das Gesicht. Peter hatte den Finger auf den Mund gelegt, »Psst! Niemandem weitersagen!« geflüstert und sich dann hochgereckt, bis seine Hand den oberen Rand des Türrahmens erreicht hatte. Sie erinnerte sich an ein scharrendes Geräusch. Dann hatte er einen Schlüssel in der Hand gehabt, den er ins Schloß steckte.
»Wenn ich mal unterwegs bin. Für die Nachbarin. Damit die Blumen gegossen werden«, hatte er ihr ins Ohr gesagt und sie dann hineingezogen in den engen Flur, in dem sie sich das erste Mal küßten.
Anne schüttelte den Gedanken ab. Ihr war nicht nach Küssen. Sie wollte nur wissen, was los war.
Sie stand auf, stellte sich auf die Zehenspitzen und fuhr mit der Hand über den Türrahmen. Loser Putz, Staub, Spinnweben und tote Fliegen rieselten herunter. In der Mitte des Türrahmens berührten ihre Finger Metall. Aufatmend packte sie den Schlüssel, steckte ihn ins Schloß und drehte ihn zweimal herum.
Das Kläffen hinter der Tür war längst wieder in ein Winseln übergegangen. Als sie die Tür mit zitternden Fingern öffnete, flog ein schwarzer Schatten an ihr vorbei.
Unter dem Holunder machte das Tier halt, hockte sich hin und tat, was es sich längere Zeit verkniffen haben mußte. Anne blickte in den Flur hinter der geöffneten Haustür und schnüffelte. Es roch nach ungelüfteten Räumen, Essensdünsten und Hundepisse.
Sichtlich erleichtert stürmte der schwarze Labrador wieder an ihr vorbei in die Wohnung. Anne rief vorsichtshalber »Ist da wer?«, bevor sie ihm in einen langen Flur folgte. Sie fand das Tier in der Küche sitzen, vor zwei verkrusteten braunen Plastiknäpfen, die Ohren gespitzt und langsam-abwartend, aber erwartungsvoll den Schweif hin und her bewegend.
»Guter Hund«, sagte sie und hielt ihm die Hand hin. Er schnüffelte kurz daran und sah sie dann wieder an, mit leicht zusammengekniffenen Augen und zur Seite gelegtem Kopf. Anne richtete sich auf, ging zur Spüle und ließ Wasser in den Trinknapf laufen. Sie guckte ihm zu, wie er gierig die Schnauze hineinsteckte. Das Tier war nicht mehr jung, es hatte graue Haare um die Nase. Dann versuchte sie seinen Freßnapf in der Spüle notdürftig zu säubern. Jetzt mußte sie nur noch das Hundefutter finden.
Sie drehte sich einmal um die eigene Achse. Die Küche war aufgeräumt, nur auf dem Herd stand eine Pfanne mit angetrockneten Essensresten. Rechts vom Herd befand sich eine schmale Tür, halb offen. Anne öffnete sie ganz. Im Regal standen Putzmittel, Gurkengläser, zwei Packungen Spaghetti, eine Tube Tomatenmark, ein paar Flaschen Wein und eine ganze Palette von Dosen mit Hundefutter. Sie griff sich eine, während das Tier ungeduldig zu fiepen begann, und hoffte, der Dosenöffner würde sich genauso schnell finden lassen.
»Gleich«, sagte sie, »ist ja gut.« Der Dosenöffner fand sich an einem Haken über dem Herd. Das Tier saß da und sah sie unverwandt an, während sie die Dose öffnete und ihm den Napf füllte. Kaum hatte sie ihm das Fressen vor die Nase gestellt, machte sich der schwarze Hund darüber her.
Anne spürte, wie der alte Zorn auf Peter Zettel wieder in ihr hochstieg. Wo war der Kerl? Man ließ doch ein lebendes Wesen nicht so lange allein! Behutsam verließ sie die Küche und machte die Tür hinter sich zu. Dann inspizierte sie die Wohnung.
In der Toilette hing ein großer Spülkasten hoch oben an der Wand, der aussah wie eine gußeiserne Antiquität, mit Porzellangriff an der Zugkette. Das kleine Waschbecken war verfärbt vom Kalk. Sie schloß die Tür wieder. Rechts davon war eine Art Bad: Auf der Marmorplatte einer Kommode stand ein Rasierspiegel, daneben die wenigen Utensilien, die Männer benötigten, die sich um ihr Äußeres keine Gedanken machten. Anne konnte nachempfinden, warum Zettel sich in diesem Haus wohl fühlte.
Dann ging sie die Treppe hoch. Die Tür rechts stand halb offen. Das Bett war gemacht, auf dem Stuhl lag eine blaue Jeans, darunter Joggingschuhe. Sie wußte nicht genau, wonach sie suchte – aber vorsichtshalber guckte sie sogar in den breiten Kleiderschrank. Keine Spur, von nichts und niemandem. Das Haus fühlte sich leer an. Und der Hund hätte sich nicht so ruhig füttern lassen, wenn irgendwo – sie schüttelte sich.
Nicht wieder eine Leiche, dachte sie.
Gegenüber vom Schlafzimmer befand sich das Wohnzimmer – jedenfalls ließen das schwarze Ledersofa, die Musikanlage und der
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