nichts als die wahrheit
wenigstens den Tätern die entscheidenden Hinweise gegeben hatte.
»Aber was machen die mit ihrer Beute? Ich meine: Wer kauft ihnen das ab? Einen Caravaggio, den er niemals in der Öffentlichkeit zeigen kann?« Die Kristeva hatte die Nase gekraust.
»Die Kundschaft ist da und hat viel Geld.« Frei glaubte mittlerweile zu ahnen, was für unermeßliche Schätze überall auf der Welt in privaten Sammlungen gehortet wurden.
»Und – die hängen sich so was ins Wohnzimmer und …?«
»In den Tresor.« Frei konnte sich vom Anblick ihrer Finger nicht losreißen. Das Weißbrot hatten sie zerlegt, jetzt spielten sie mit Salzfaß und Kaffeelöffel.
»In einen begehbaren, gepanzerten Raum, gesichert wie ein Atombunker.«
Er hatte solche geheimen Sammlungen schon mehrmals gesehen – dann, wenn ihre Besitzer aufgeflogen waren. Manchmal unter seiner Mithilfe, wie im letzten Jahr. Der angesehene Kunsthändler hatte wahrscheinlich geglaubt, niemand würde die unscheinbare Waffe identifizieren können, die auf dem Kaminsims lag. Frei konnte – der Revolver stand auf der Verlustliste eines aufsehenerregenden Kunstraubs in London.
»Und – niemand kriegt diese Schätze jemals zu sehen?«
Frei zuckte mit den Schultern. »Keiner dieser Fanatiker sollte zu oft der Versuchung nachgeben, sein Glück mit einem anderen zu teilen. Es hält dann nicht mehr lange.«
Die Hände der Kristeva rangen mit der Serviette. »Ob in diesen Tresoren …« Sie brach ab.
Dann sagte sie: »Viele der von den Nazis aus Polen verschleppten Kunstwerke sind nie wieder aufgetaucht.«
»Stimmt«, sagte Frei.
Agneta Kristeva war Beraterin des Außenministers. Er konnte verstehen, daß die polnische Regierung wissen wollte, wo das alte Tafelsilber gelandet war. Die Nazis hatten gekauft, enteignet, geraubt. Und die Sieger über die deutschen Verbrecher hatten sich ebenfalls nicht zurückgehalten.
»Unsere Kultur ist geplündert worden«, sagte die Kristeva leise.
Frei nickte wieder. Über fünfzig Jahre nach Kriegsende waren viele der einst von den Nazis gehorteten Gemälde, Skulpturen, Antiquitäten, Keramiken, Bücher und Handschriften noch immer verschollen. Das meiste, vermutete er, hatte längst seinen Weg über den internationalen Markt in die gepanzerten Schatzkammern privater Sammler gefunden. Vielleicht lag der eine oder andere Schatz sogar noch heute dort, wo ihn die Nazis einst verborgen hatten. Aber er bezweifelte das. Auf der Suche nach dem Bernsteinzimmer hatten Verrückte, Fanatiker, die Behörden der DDR und neuerdings wieder die Russen wohl jeden Ort gründlich durchforscht, an dem solche Schätze hätten verborgen sein können.
Agneta Kristevas unruhige Finger waren in den letzten Minuten noch unruhiger geworden. Dann schien sie sich einen Ruck zu geben, entschuldigte sich bei ihm und ging hinaus – wahrscheinlich in den Park, um endlich eine zu rauchen.
Jon knöpfte sein Jackett wieder zu und stand ebenfalls auf.
Er würde den Abend vor dem Kamin verbringen, vielleicht mit anderen wortkargen Männern, er würde Whisky trinken, melancholische Gedanken haben und darüber einschlafen. Am nächsten Morgen mußte er die Suche wieder aufnehmen, von der er geglaubt hatte, er könne sie sich sparen. Das Zielobjekt hatte sich geändert. Es trug seit heute einen Frauennamen – Anne Burau.
Jonathan Frei ging die knarrende Treppe hoch und spürte mit Bedauern dem Gefühl der Leichtigkeit nach, das sich langsam zu verflüchtigen begann.
9
Sie schreckte aus dem Schlaf, mit fliegendem Atem und schweißnaß. Noch nie hatte sie so intensiv davon geträumt – in Cinemascope und mit Sensurround. Wie sie zur Gauck-Behörde gefahren war, an jenem angemessen düsteren Wintertag. Wie sie erfahren hatte, was sie sich hätte denken müssen, aber nie hatte vorstellen können: daß sie von Leo Matern, ihrer großen Liebe, ihrem Mann, jahrelang ausspioniert worden war. Ihre Ehe eine Farce. Ihre Liebe eine Anordnung des Ministeriums für Staatssicherheit.
Noch jetzt, im Aufwachen, sah sie sein Gesicht vor sich – wie er lächelte, als sie ihm entgegenschleuderte, was sie in den Akten gelesen hatte. Im Traum hatte sie ihm die Hände um den Hals gelegt und langsam zugedrückt. In der Wirklichkeit war das von jemand anderem erledigt worden.
Anne setzte sich auf. Die Entdeckung seiner Leiche in der Kühlkammer im Weiherhof, in der er am Fleischerhaken hing wie eine tote Gans, war schlimm gewesen. Aber noch schlimmer war, als sie selbst in der
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