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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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penibel mit Ort und Datum auflistete, dann stand es schlecht um Lilly E. Meiers Ruf als Mutter Teresa aller Beleidigten und Entrechteten.
    Zuletzt, mit zitternden Fingern, klickte Becker das Dokument an, das Zettel »Hansi« genannt hatte. Der Kollege hatte gut recherchiert. Die ganze traurige Geschichte starrte ihm vom Bildschirm entgegen.
    Mona. Sein Mädchen aus Békéscsaba. Hans wurde die Brust eng vor Elend. Er hatte sie in einer Kneipe kennengelernt, in der sie illegal kellnerte. Verängstigt war sie gewesen, und das Auffälligste an ihr waren ihr dickes blondes Haar und ihr unbeschreiblicher Duft. Ihr wilder Geruch hatte ihn verfolgt bis in den Schlaf.
    Sie hatten geheiratet, damit sie nicht wieder zurück mußte nach Ungarn, er hatte für sie gebürgt, als sie sich selbständig machen wollte mit einem kleinen Café. Und war auf den Schulden sitzengeblieben, die aufgelaufen waren, bevor sie eines Tages fort war. Er hatte nie erfahren, mit wem sie sich aus dem Staub gemacht hatte. Und er wollte es auch nie wissen.
    »Wolle Majerski, 27, Rockmusiker«, las er bei Zettel. Sowenig überraschend diese Information auch war – sie wirkte wie ein Schlag in die Magengrube.
    Erst nach ein paar Minuten hatte er sich wieder im Griff. Er wußte noch immer nicht, wer die Meldung über Bunge gefälscht hatte. Aber die Antwort lag ziemlich nah – weshalb er sich plötzlich gar nicht mehr sicher war, ob nicht doch stimmte, was die gefälschte Agenturmeldung Bunge unterstellt hatte. Wer so viel über andere Menschen wußte wie Peter Zettel, der kannte auch die geheimsten Vorlieben eines Abgeordneten, besonders, wenn er so einflußreich war wie Bunge.
    Becker lehnte sich zurück und starrte auf den Bildschirm. War Zettel – ein Erpresser? Einer, der sich gegen alle Eventualitäten des Lebens absichern wollte? Oder nur hemmungslos neugierig?
    »Was gefunden?«
    Die unerwartete Stimme ließ ihn scharf die Luft einziehen, bevor er sich langsam umdrehte. Wenn Zettel mitbekäme, daß er seine Dateien durchforstete …
    Aber es war Lilly, die im Türrahmen stand, die Hände, wie immer, in den Jackentaschen. Ihr blondes Haar war heute nicht streng zurückgekämmt, sondern legte sich wie eine Aureole um ihr Gesicht. Der Gedanke an das, was Zettel über sie zu wissen glaubte, machte ihn traurig. Vielleicht – hoffentlich – hatte Zettel die Wahrheit doch nicht gepachtet.
    Hastig klickte er sich aus dem Programm. »Peter hat sich seit Tagen nicht blicken lassen. Ich dachte, ich finde den Text, den er Sonnemann versprochen hat – du weißt schon: das Stück über die Baustellen Berlins …« Ob sie seine Ausrede glaubte?
    Lilly kam näher und sah ihm über die Schulter. Über den Bildschirm schwebte eine rote Kugel, zerbarst und setzte sich wieder zusammen. »Seltsam, daß er so gar nichts von sich hören läßt, oder?«
    Hans nickte. Ihre Nähe beunruhigte ihn. Nicht so, wie Isoldes Nähe ihn beunruhigte – Lilly machte ihm keine Angst. Er fürchtete eher, es könnte ihr auffallen, wie sehr er sie bewunderte.
    Und außerdem wirkte sie heute ganz anders als sonst. Weicher. Privater.
    »Du gehst offenbar auch nicht gern nach Hause, Hansi, oder?« Lilly lehnte sich an den Schreibtisch und sah ihn an – mit diesem langen, intensiven Blick, den sie immer dann bekam, wenn ihr etwas naheging. »Was soll man da auch? Man kennt sich ja schon.« Sie hob die Schultern und sah ihn dann betont heiter an. »So ist das nun mal, wenn man allein ist.«
    Ist man allein, wenn man zu den Prominenten der Stadt gehörte, hier einem Komitee vorsaß, dort eine Rede hielt, im Fernsehen auftrat, für eine bekannte Spendenorganisation warb? Und sah man Lilly nicht seit einiger Zeit mit einem Mann, einem bekannten Mäzen? Hans wunderte sich – auch darüber, daß er so wenig wußte über sie.
    »Aber klagen bringt auch nicht weiter …« Lilly schaute aus dem Fenster und wirkte, als ob sie nichts lieber täte als das.
    »Vorübergehend – schon.« Becker bot sein Verständnis mit aller Vorsicht an.
    Sie seufzte tief auf. »Manchmal geht mir dieser Laden hier furchtbar auf den Keks. Das ganze Leben. Alles.« Langsam drehte sie sich wieder zu ihm um. »Kennst du das?«
    Hans nickte. Natürlich kannte er das. Depression. Melancholie. Überdruß. Nenn es, wie du willst.
    »Man kann nicht immer – gut drauf sein.« Sie schlug die Augen nieder. »Ich verrat’ dir ein Geheimnis, Hansi. Ich hab’ mich mal drei geschlagene Tage und Nächte in einem Hotelzimmer

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