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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Takt schneller, jemand im Haus sein. Sie horchte angestrengt, wartete auf Schritte, auf knarrende Balken. Statt dessen wehten Sphärenklänge von oben herunter.
    Musik. Und was für eine Musik. Das Haus war bis unter die Traufe angefüllt mit Klängen. Flötentöne schwebten im Raum, wurden vom hingetropften Räuspern eines Basses unterbrochen, flogen wieder auf und gesellten sich einem ganzen Chor von Streichern hinzu, der auf weiten Schwingen wie ein Vogelschwarm im Wald aus dem Unterholz hochrauschte in die Wipfel.
    Anne setzte sich auf den Küchenstuhl, als sie spürte, daß ihr die Knie weich wurden. Du drehst durch, dachte sie. Du fängst an zu spinnen.
    Dann war es still.
    Also bitte, dachte sie und wollte aufstehen.
    Wieder setzten Sphärenklänge ein, weit oben schwebende Flötentöne, in die sich das Streicherorchester einschmeichelte, die hohen Töne umrundend, umgarnend, sie einkreisend, bedrohlich immer näherrückend.
    Dann ein Horn, ein immer drängender werdendes Flirren der Geigen.
    Anne krümmte sich zusammen, als mächtige Baßakkorde in einen triumphierenden Aufschrei des Blechs mündeten, in ein forderndes, herrisches Schmettern, umtanzt vom Flattern der Geigen. Die Trompeten von Jericho, dachte sie. Diese Musik läßt Mauern einstürzen.
    Sie merkte, daß sie den Atem angehalten hatte, und atmete aus, als die Geigen und Celli wieder in einen begütigenden Rhythmus einschwangen und der Baß nur noch brummelte wie das abziehende Gewitter.
    Alles wird gut, behaupteten die Geigen.
    Am Horizont ist Licht, versicherten die Bläser.
    Die Sonne geht auf, flötete der ganze schwingende Reigen im Chor.
    Aber im nächsten Augenblick verdüsterte sich die Sonne wieder – und die schwarze Meute saß auf und blies zur Menschenjagd. Todesschwadronen marschierten, Waffen klirrten, Feldgeschrei unter Pulverdampf, Sterben bis zum Morgengrauen. Nichts war gut.
    Sie atmete tief ein. Da oben spielte jemand die schönste, martialischste Musik, die sie kannte und die ihr ans Herz griff, als wäre sie damals dabeigewesen in den verdunkelten Nächten vor dem Volksempfänger.
    Franz Liszt hatte Les Préludes geschrieben, bevor die Welt auch nur ahnen konnte, für was sie einmal das Vorspiel abgeben sollten: für die Sondermeldungen der Wehrmacht von den Kriegsschauplätzen des Zweiten Weltkriegs. Die fordernden, düsteren Klänge sollten die Deutschen auf all das Große, auf all das Existentielle einstimmen, das der Führer ihnen versprochen hatte. Und was bescherte er ihnen alles!
    Sie kam sich plötzlich beschmutzt vor – als ob jemand nach ihr gegriffen hätte, der sie hineinziehen wollte in das tiefe Loch, in dem eine Vergangenheit lauerte, die so waffenklirrend, schwarz und machtvoll war wie die Musik, die sie soeben gehört hatte. Und ebenso lebendig.
    Anne schüttelte halb betäubt den Kopf und blickte auf ihre Hände, die sich verkrampft und verknotet zu haben schienen. Dann raffte sie allen Mut zusammen, stand auf und ging hinüber zum Treppenaufgang.
    »Ist da wer?«
    Ihre Stimme zitterte und ihre Knie auch, als sie sich nach oben tastete. Amber stob plötzlich an ihr vorbei, die Treppe hoch, voran ins Wohnzimmer. Sie lauschte hinterher, bis das Tier wieder hinauskam und schweifwedelnd im Türrahmen stand.
    Es war also niemand da. Es konnte niemand da sein. Nur der CD-Spieler hatte sich nach der Stromunterbrechung wieder eingeschaltet und das wiederholt, was sich zuvor ein anderer mit beträchtlicher Lautstärke angehört haben mußte – irgendwann, irgendwer. Wahrscheinlich, nein: mit Gewißheit Peter Zettel.
    Sie atmete ruhiger. Das Gewitter war vorbeigezogen, draußen war es heller geworden, und es schien nicht mehr zu regnen. Sie legte Amber das Halsband um. Durch die geöffnete Tür zu Zettels Büro sah sie den Bildschirm seines Computers leuchten – das Gerät war nach dem Stromausfall ebenfalls wieder hochgefahren. Anne konnte sich keinen Reim machen auf die Bilder und Zeichen, die sie nur im Vorübergehen wahrnahm, außerdem zerrte Amber an der Leine. Dann ging sie mit dem Hund hinaus in die frische Luft.
    Mit geschärfter Wahrnehmung sah sie die Einschußlöcher in den Hauswänden, aus den letzten Stunden des Kampfes um Berlin. Las die Namen auf den Straßenschildern, die Gedenktafeln an Hauswänden. Sie war stehengeblieben, als der Hund plötzlich so heftig an der Leine riß, daß sie ihr aus der Hand glitt. Wie ein schwarzer Blitz raste Amber davon, hinter ihr flatterte das dünne rote

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