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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Es ist ihm egal, dass wir das alles hier finden, denkt er wieder. Aber das stimmt gar nicht, wird ihm im nächsten Moment klar. Schneider ist ein Stratege, ein Perfektionist. Er hat die Polizeiermittlungen 20 Jahre lang manipuliert. Er hat der Krieger schon das erste Foto geschickt, bevor er Jonas Vollenweider ermordete. Er wollte, dass sie diesen Fall übernimmt. Er hat das geplant. Und genauso hat er geplant, dass wir jetzt hier in seiner Wohnung stehen und alles finden. Manni flucht laut, als ihm klar wird, dass Schneider wohl auch damit rechnet, seine perfide Rachemission dennoch zum Ende bringen zu können.
    Er schlägt die schwarze Pappmappe auf, getippte A4-Blätter liegen darin, akkurat Kante auf Kante, das Schriftbild ist vertraut. Er überfliegt die ersten Zeilen: »Wenn es je einen Ort gab, der mir ein Zuhause wurde, dann dieser. Jetzt, da ich Abschied nehme, wird mir das erst bewusst…« Er blättert weiter vor, in der irrwitzigen Hoffnung, darin einen konkreten Hinweis auf Schneiders derzeitigen Aufenthaltsort zu finden. »Ich sehe Dein Bild an und frage mich, wo Du jetzt bist und was Du jetzt tust … Ich habe sie getötet, weil sie mir das Bild weggenommen haben…« Nichts wirklich Konkretes, natürlich nicht, Schneider ist zu gerissen. Hier in seiner Wohnung zeigt er ihnen nur seine Vergangenheit. Manni überfliegt die nächste Seite. Eine Art Brief ist das wohl. Der Bericht eines Wahnsinnigen. Eine Art Geständnis, was auch immer.
    Wieder meldet sich sein Handy, auf dem Display erscheint eine vermutlich griechische Nummer, eine Polizistin Namens Maria Damja-Irgendwas stellt sich ihm in schnellem, perfektem Deutsch vor und spricht dann gleich weiter.
    »Ich bin im Haus von Lea Wenzel. Wir haben die Tasche Ihrer Kollegin und ihr Handy.«
    Kein Empfang mehr, kein Kontakt, keine Handy-Ortung mehr möglich.
    »Gibt es Spuren«, fragt er. »Blut?«
    »Nein, soweit ich das erkennen kann.«
    Er atmet aus. »Sie müssen sie suchen.«
    »Das ist nicht so einfach, der Westen der Insel ist unwegsam, und wir haben nicht sehr viele Kräfte zur Verfügung.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ein Soldat wurde gestern ermordet, ein ganz junger Kerl, erst vor zwei Wochen einberufen. Einfach niedergestochen und ausgeraubt.«
    »Seine Waffe?«
    »Ja, genau. Und dann haben wir einen Waldbrand in den Bergen bei Marathokampos.« Sie seufzt. »Das ist keine gute Zeit für die Insel.«
    Keine gute Zeit, so kann man das auch sagen, ja, ganz eindeutig. Schneider hat sich zu helfen gewusst, ist wieder bewaffnet, vielleicht hat er auch das Feuer gelegt. Vielleicht hat er seine perfide Rachemission sogar schon beendet.
    Manni überfliegt die nächsten Seiten von Schneiders Ergüssen, blättert nach hinten, liest den Schluss, merkt, dass ihm übel wird. Das Kind, Leas Baby, verdammt noch mal.
    Er klappt die Mappe zu, starrt auf das Foto im Zentrum des Altars. Er weiß jetzt, was Schneider plant, er kapiert auch, was er mit Judith Krieger vorhat. Und er weiß, dass dieses Zimmer hier tatsächlich ein Schrein ist. Der Schrein eines Wahnsinnigen, ohne Frage. Doch das Objekt seiner Anbetung ist nicht Judith Krieger und auch nicht Schneiders Exfrau Susanne. Es ist seine Mutter.
    ***
    Enge. Dunkelheit. Sie versucht, ruhig zu bleiben. Bei Verstand zu bleiben, bei Bewusstsein. Sie stemmt sich gegen die Panik, die sie immer wieder zu überwältigen droht, sagt sich Dinge vor, Möglichkeiten, andere Möglichkeiten als die, dass sie hier einfach langsam, aber sicher verdurstet. Er wird zurückkommen, sagt sie sich. Wer auch immer er ist, er hätte sie schon längst töten können, wenn er das wirklich wollte. Doch sie atmet, sie lebt, also hat er etwas anderes mit ihr vor. Oder will er sie hier verrecken lassen? Ist das der Tod, den er sich für sie ausgedacht hat? Ist dieser Kofferraum ihr Besinnungszimmer? Sie weiß es nicht, weiß nicht, wie lange sie hier schon liegt. Irgendwann weint sie und sehnt sich nach Karl. Nach Manni. Sogar nach ihrer Mutter. Etwas hat sich an dem Abend in Frankfurt verändert, als ob eine sehr alte Wunde endlich anfinge zu heilen, so hat sich das angefühlt. Sie wollte ihre Mutter danach noch einmal anrufen und hat es nicht geschafft. Jetzt treibt ihr das noch mehr Tränen übers Gesicht. Sie hat sich nicht einmal richtig bedankt nach dem Abend in Frankfurt, dabei haben ihre Eltern nicht nur ihr, sondern auch Manni die Übernachtung spendiert.
    Sie zwingt ihre Tränen zurück, zieht Rotz hoch, versucht ihren Atem

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