Nichts als Knochen
verraten, wer Lommi ist?«
Karsten Gottschalck war ins Büro getreten und kam zielstrebig auf die beiden Frauen zu.
»Ach Karsten«, Christina seufzte tief, »jetzt sind Sie schon eineinhalb Jahre in Köln und wissen nicht, wer Herr Lommerzheim, kurz Lommi genannt, ist?«
Karsten schüttelte belustigt den Kopf.
»Nein, tut mir Leid.«
»Ich bin erschüttert!« Christina sah wirklich betroffen aus.
»Aber Sie könnten es mir ja erzählen«, schlug Karsten vor.
»Also gut«, gab Christina nach, »aber nur die Kurzfassung. Lommi ist der Inhaber einer absoluten Kultkneipe in Deutz. Alles an dem Laden ist alt und renovierungsbedürftig. Die Fassade des Gebäudes sieht dermaßen mitgenommen aus, dass man bei ihrem Anblick unwillkürlich nach Einschusslöchern aus dem zweiten Weltkrieg sucht. Die Wände im Inneren sind gelb vor Nikotin, und die Luft, die einem beim Betreten entgegenwabert, riecht immer leicht modrig. Über all dem herrscht Lommi, der inzwischen weit im Rentenalter ist und Abend für Abend mit seinem Bierkranz in stoischer Ruhe schweigsam seine Runden dreht und jedem, der sich nicht wehrt, ungefragt ein neues Kölsch hinstellt.«
»Und das soll Kult sein?«, Karsten verzog angewidert das Gesicht. »Was ist denn so toll daran, in einer abbruchreifen Kneipe Bier zu trinken?«
»Die Leute lieben es einfach!« Christina breitete die Arme aus, und ihr Tonfall machte klar, dass man diesem Phänomen nicht mit Logik zu Leibe rücken konnte. »Lommi hat schon mehrfach verkündet, sich zur Ruhe setzen zu wollen, aber es gab jedes Mal vehemente Proteststürme seiner Stammgäste, und das sind nicht wenige. Also stehen die Leute immer noch jeden Tag um fünf Uhr nachmittags geduldig Schlange und warten darauf, dass Lommi seine Türen öffnet. Und dann stürmen sie, wie jeden Tag, den Laden, um einen der wenigen Tische zu ergattern oder zumindest noch einen umgedrehten Bierkasten mit ein paar Telefonbüchern als Notsitzplatz zu besetzen. Und in all dem Gedränge, das jeden Abend da herrscht, werden diese legendären Riesenkoteletts serviert.«
»Ja, das klingt wirklich so, als müsste ich da unbedingt mal hin«, bemerkte Karsten mit leichtem Spott in der Stimme.
»Na, dann sollten Sie sich besser beeilen. Man munkelt, dass Lommi dieses Jahr Ernst macht und zum Jahresende schließt. Wenn Sie das also mal erleben wollen, sollten Sie am besten mit uns mitkommen.«
»Nein danke, meine Damen«, Karsten beeilte sich abzuwinken, »ich werde mich lieber in mein frisch renoviertes Zuhause begeben. Gehen Sie ruhig ohne mich.«
»Okay«, antwortete Rebecca, während sie sich erhob, »wir wollten sowieso vorher noch einen Zeugen verhören, und ich nehme an, Sie können auf einen Ausflug in die Praxis der Ermittlungsarbeit ganz gut verzichten.«
»Das klingt, als würden Sie es mir nicht zutrauen.« Karsten zog die Brauen hoch. »Rebecca, Rebecca, Sie sollten mich nicht unterschätzen.«
»Tu ich doch nie, Chef!«
»Geschenkt!« Karsten machte eine wegwerfende Handbewegung und wandte sich zur Tür um. »Trotzdem viel Spaß heute Abend«, warf er noch über die Schulter, bevor er aus dem Raum ging.
Kurz darauf verließen Rebecca und Christina das Polizeipräsidium, fuhren zwei Stationen mit der U-Bahn und erreichten wenige Minuten später die Siegesstraße. Als sie vor dem unscheinbaren Gebäude der angegebenen Adresse standen, suchten sie beim flackernden Schein eines Feuerzeugs die unbeleuchteten Klingeln ab, bis sie das Schild mit der Beschriftung ›Zander‹ gefunden hatten. Sie warteten einen Augenblick, nachdem sie den Knopf gedrückt hatten, und versuchten es dann noch einmal. Nichts geschah.
»Der Vogel scheint ausgeflogen zu sein«, stellte Christina fest.
»Sieht so aus.«
Rebecca trat zwei Schritte zurück und sah an der Hausfassade hinauf, um eventuelle Schatten hinter Gardinen auszumachen, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung sah. Sie wandte den Kopf nach links und sah einen Mann, der gerade um die nächste Ecke gebogen war und nun stehen blieb, als er die beiden Frauen sah.
»Das ist er«, raunte sie Christina zu, »Thomas hat ein Bild von ihm aus der Wohnung von Frau Walterscheidt mitgebracht.«
Sie ging ein paar Schritte in seine Richtung, und der Mann ging ebenso viele Schritte zurück. Er beobachtete sie mit lauerndem Blick.
»Herr Zander?«, rief Rebecca. »Wir sind von der Kripo Köln und wollen Ihnen ein paar Fragen stellen.«
Der Mann drehte sich, ohne zu zögern, um und fing an zu
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