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Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Titel: Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Frühling
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rausgeflogen.
    Eine offene Frage bezüglich unserer Sprache lautet: Gibt es im Deutschen eigentlich ein echtes Pangramm? Bestimmt sinnierten Sie auch schon den ein oder anderen Abend darüber. Oder etwa nicht, weil Sie gar nicht wissen, was ein Pangramm ist? Es handelt sich dabei um Sätze, in denen alle Buchstaben des Alphabets vorkommen. Ein sehr schönes folgt hier: Franz jagt im verwahrlosten Taxi quer durch Bayern. Schön ja, echt leider nicht. Denn der Autor dieses Satzes brauchte 43 Buchstaben, um alle 26 im Alphabet vorhandenen unterzubringen. Je echter das Pangramm wird, desto fragwürdiger ist allerdings sein Inhalt. Nach meiner Recherche im Internet ist der ungekrönte Pangramm-König ein gewisser Matthias Belz, der seine Vorreiterstellung in der Szene folgendem Satz zu verdanken hat: »›Fix, Schwyz‹, quäkt Jürgen blöd vom Paß.« Wie gesagt, oft leidet der Inhalt ein wenig unter den strengen Vorgaben dieser grammatikalischen Spielart. Da allerdings der Kanton Schwyz tatsächlich über Berge und damit Pässe verfügt und auf dem Vierwaldstätter See ein Schiff namens Schwyz verkehrt, könnte es schon sein, dass ein nicht so schlauer Jürgen mit einer nicht so angenehmen Stimme den See betrachtend auf einer Anhöhe steht und das Boot zu einer schnelleren Gangart anfeuert. Immerhin muss man Herrn Belz zugute halten, dass er sogar Umlaute und das ß in seinem Satz untergebracht hat – und da kann man im Gegenzug ja mal ein bisschen Phantasie verlangen.
    Nach dieser zugegebenermaßen etwas verkopften Passage nun ein kleiner Sprach-Fauxpas der flapsigeren Sorte, der mir wirklich schon einige Male passiert ist, auch wenn es erfunden klingt: Irgendein Gegenüber erzählt mir eine bemitleidenswerte Geschichte, und ich antworte: »Scheide.« Warum? Hier die Erklärung: Während der bemitleidenswerten Geschichte formiert sich in meinem Kopf der Wunsch, Anteilnahme zu zeigen. Nassforsch, wie man heute nun mal ist, will man »Scheiße« sagen. Sekundenbruchteile vor dem Verlassen des Mundes stellt man aber fest, dass dieser Kraftausdruck situativ oder dem Gegenüber nicht angepasst ist und schwenkt, nachdem die ersten vier Buchstaben die Mundhöhle schon verlassen haben, auf »schade« um. Nun fügen sich die letzten beiden Lettern von »schade« an die ersten vier von »Scheiße« und schon ist man selbst zur bemitleidenswerten Gestalt geworden, die einfach mal eine Geschichte mit dem Wort »Scheide« sekundiert.
    Nun aber rasch wieder zurück zum Ernst des Lebens und zum Stichwort Geschichte. Und zwar Geschichten in Buchform. Ich als Konsument bin ja ein glühender Verehrer von Krimis, in denen die Blutrunst groß geschrieben wird. Sie müssen nur ein Kriterium erfüllen: Sie mögen bitte in Gegenden spielen, die ich kenne! Was kann ich beispielsweise mit diesem fiktiven Satz anfangen: »Jack Morrison und Rose White näherten sich Wellington von Nordosten über den Highway Number One, rechts von ihnen der Kaiwharawhara Park, links von ihnen die Wellington Bay, in der man Matiu Island im Dunst aufsteigen sah«? Nichts kann ich damit anfangen, nichts. Ich weiß nicht, wie es rund um die Hauptstadt Neuseelands aussieht, wie der Kaiwharawhara Park bewachsen ist, wie es an der Bay riecht und ob der Highway Number One schlaglochgeplagt oder staugefährdet ist. Streng genommen, kann ich mir nicht einmal Jack und Rose genau vorstellen, weil mir die Kenntnis darüber fehlt, ob es sich dabei um Vornamen jüngerer oder älterer Menschen handelt. Was ich damit sagen will: Ein ausländischer Autor müsste für mich derart viele Einzelheiten beschreiben, um für mich das Setting nachvollziehbar zu machen, dass er einen Leser aus seinem Land damit völlig ennuyieren würde. Daher lieber gleich einheimische Autoren.
    Nehmen Sie zum Vergleich diesen ebenfalls erfundenen Satz: »Kommissar Friedrich von Arnim verließ die U-Bahn-Station Wittenbergplatz und stürzte sich ins samstägliche Getümmel der Tauentzienstraße, als er an der Ampel plötzlich Cheyenne in Kevins Arm erblickte.« Mann, was da alles drinsteckt! Der Kommissar ist offenbar ein älteres Semester, das geht aus »Friedrich« hervor. Außerdem trägt er einen Adelstitel und einen großen Namen, was eine Herkunft aus dem Bildungsbürgertum und einen Wohnort in einer schattigen Charlottenburger Allee nahelegt. Kevin und Cheyenne dagegen sind offenkundig nicht über dreißig und stammen wahrscheinlich eher aus Hellersdorf als aus einer Grunewalder Villengegend.

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