Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
Ich kann mir vorstellen, wie es riecht, denn alle U-Bahn-Stationen in Deutschland riechen gleich. Ich weiß, dass der Kommissar links das KaDeWe sieht, weiter hinten geradeaus die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und rechter Hand einzelhändlerisch tätige Filialisten mit mäßigem Erfolg. So gefallen mir Bücher.
Deswegen bin ich auch ein großer Freund des Trends hin zu lokalen oder regionalen Kriminalromanen, in denen dieselben Ermittlerteams immer neue Fälle zu lösen haben. Die Eigenheiten der Charaktere zu kennen und dies beim Leser voraussetzen zu können, erspart ab dem dritten oder vierten Fall lange Erklärungen und lässt mehr Raum für Blut.
Genauso wenig wie auf Literatur entlegener Kontinente stehe ich in Büchern auf Protagonisten, die sich ständig falsch entscheiden und diese Entscheidungen nicht zu revidieren suchen. Ich werde da ganz kribbelig, wenn ich über Leute lese, die sich durch Cholerik, Hysterie, Melancholie oder ständiges Verträumtsein permanent ins Abseits schießen. Wenn ich so gar keine Identifikation mit einer Rolle verspüre, mag ich darüber auch nicht dreihundert oder mehr Seiten lang lesen.
Genauso rappelig werde ich, wenn in Fernsehserien die pikantesten Details immer hinter geöffneten Türen oder im öffentlichen Raum besprochen werden müssen. Bei RTLs »Unter uns« zum Beispiel ist die gut frequentierte und schlecht einsehbare Waschküche im Keller des Hauses der Hotspot, um intimste Heimlichkeiten zu beichten. Dummerweise steht fast immer irgendein Weigel lauschend hinter der angelehnten Tür, aber das lernen diese Kamele aus der Schillerallee einfach nicht.
Im Fernsehen stören mich vorhersehbare Handlungen übrigens weniger als in Büchern. Nur deswegen bin ich befähigt, ein Fan des »Traumschiffs« und der Serie »In aller Freundschaft« zu sein. An der »Sachsenklinik« funktioniert Vorhersehbarkeit so: Zu Beginn einer jeden Folge schleppen die Rettungssanitäter einen Schwerverletzten an, dessen Erscheinen regelmäßig mit den Worten quittiert wird: »In den Schockraum!« Nach einer schnellen Besserung des Zustandes will der Patient die Klinik so schnell wie möglich verlassen, weil er wahlweise an einem sportlichen Wettkampf, einem musikalischen Casting oder einem irre wichtigen Geschäftstermin teilnehmen will. Über diese unvernünftige Entscheidung kommt es traditionell zum Bruch mit wahlweise den Eltern, den Geschwistern oder dem Lebenspartner. Im Zuge des Wettkampfs/Castings/Geschäftstermins kommt es dann allerdings zu einer gravierenden Verschlimmerung des Gesundheitszustandes und einer erneuten Einlieferung in die Sachsenklinik. Schockiert durch die gesundheitliche Verschlechterung realisieren Eltern/Geschwister/Lebenspartner, wie kleinkariert der vorhergegangene Streit war, und es kommt nach der gelungenen Not-OP zur gelungenen Versöhnung. Parallel dazu versucht die Verwaltungs-Chefin der Klinik in jeder Folge eine Intrige oder unpopuläre Sparmaßnahme durchzusetzen, die entweder durchschaut oder ausgebremst wird. Mein voller Respekt gilt Alexa Maria Surholt, der Schauspielerin dieser Rolle, die sich seit über einem Jahrzehnt jeden Dienstagabend aufs Neue die Eselsmütze aufsetzen lässt.
Auf dem »Traumschiff« sind die Handlungsstränge etwas anders geartet, aber nicht weniger leicht zu prognostizieren: An Bord geht eine gütige Greisin, die sich nach einem Enkelchen sehnt, dem sie Liebe und Geld schenken kann. Parallel dazu betritt eine Familie mit ihrem fünfjährigen Sohn das Schiff, der sich nach dem frühen Ableben beider Omas nach großmütterlicher Zuneigung sehnt und deren Konten nicht so prall gefüllt sind. Im zweiten Handlungsstrang sorgt sich ein älterer Beau darum, wem er sein Zahnlaser-Patent vermachen soll. Er trifft per Zufall auf einen jungen Mann, der sich mit der Reise für seinen gelungenen Master-Abschluss im Fach »Lasers in Dentistry« belohnt. In Geschichte Nummer drei geht es wiederum um die kleine Cinzia, die leider bald sterben muss, wenn sie nicht bald von ihrem verschollenen Vater eine Spenderniere bekommt. Per Zufall entdeckt Cinzias Mutter ihren Ex-Mann in einer Surfschule auf Ko Samui und der Schiffsarzt hat gerade ein neues Besteck für Nierentransplantationen geliefert bekommen, das er unbedingt ausprobieren will.
Abgesehen davon scheint mir das »Traumschiff« mehr und mehr zu einem Sammelbecken alternder Schauspieler zu werden, die während ihrer Hochphase versäumt haben, genügend Geld in die
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