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Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Titel: Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Frühling
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Heirat verpflichtend war, den Nachnamen des Mannes oder einen Doppelnamen anzunehmen, konnte es nicht passieren, dass eine Dorothee Schulze zum Beispiel einen Rolf Dorothee ehelicht und fortan Dorothee Dorothee heißt. So gesehen, ganz praktisch.
    Und praktisch sind bei näherer Betrachtung die wenigsten Dinge auf dieser Welt. Oft fehlen nur wenige Zentimeter, und sie wären’s. Ich leide beispielsweise seit Jahren darunter, immer Fahrräder verkauft zu bekommen, deren Ständer um den entscheidenden Zentimeter zu kurz ist. Gepflastert ist mein Lebensweg von hinterrücks scheppernd zusammenbrechenden Drahteseln.
    Oder Bleistifte: Die würden mit einer Länge von vier Zentimetern rein technisch ja noch zum Schreiben taugen. Da aber bei einer derartigen Länge das Stiftende nicht mehr auf dem Mittelhandknochen ruhen kann, gerät das Geschriebene oft krakelig. Deswegen werden Bleistifte – obschon funktionsfähig – einfach weggeworfen. Wir könnten über dichte Wälder und volle Graphitminen verfügen, wenn sich nur ein Aufsatz durchgesetzt hätte, der zu kurze Bleistifte wieder der Anatomie der Schreibhand anpassen würde. Aber an so was Triviales denken diese Heureka-Jünger ja nie.
    Wo wir gerade bei unpraktischen Dingen sind: Ist ihnen schon mal aufgefallen, dass die Tastaturen von Telefonen und Taschenrechnern zweieiige Zwillinge sind? Dort, wo beim Taschenrechner die 1 steht, befindet sich beim Telefon die 7. Die 3 wiederum ersetzt die 9, die 2 die 8. Eine Sekretärin, die – denken wir mal fiktiv – den ganzen Tag nichts anderes tut, als zu telefonieren und in Taschenrechner zu tippen, muss ständig umdenken. Um wie vieles einfacher könnte ihr Beruf sein, wenn im Tastaturwesen ein einheitlicher Standard eingeführt würde? Vielleicht sind etliche Firmenpleiten nur auf diese Divergenz zurückzuführen? Stellen Sie sich vor, eine Bäckereikette will ihr Premiumbrötchen für 79 Cent verkaufen, die für die Preisbeschilderung zuständige Tippmaus allerdings verwechselt die Tastatur – und schon geht der Porsche unter den Schrippen für lächerliche 13 Cent über die Ladentheke. In der Masse läppert sich das, schon geht der Gewinn verschollen. Möglicherweise lotet man in der FDP-Parteizentrale den Spielraum für eine Steuersenkung ebenfalls per Telefontastatur aus, so zumindest könnte man die gelegentlich verzerrte Finanzwahrnehmung der Liberalen galant erklären.
    Ich habe eben das Wort »verschollen« verwendet. Ein ulkiges Wörtlein, das ich so recht weder als Verb noch als Adjektiv klassifizieren mag. Es klingt zwar mächtig nach Verb, aber es fehlt jegliche Konjugationsmöglichkeit. Ich verschelle, du verschellst, er/sie/es verschellt … geht alles nicht. Man kann es nur sein, aber nicht aktiv tun. Man könnte jetzt sagen: Wer verschollen ist, hat ja auch keine Chance mehr, das jemandem mitzuteilen. Andererseits: Fallen zwei Alpinisten gleichzeitig in eine Gletscherspalte, könnte sich durchaus ein Disput entspinnen, in dem der eine dem anderen mit dem Satz »Wir sind gerade mächtig am Verschellen« die bevorstehende Unauffindbarkeit kundtut. In der Aufzählung der hundert am häufigsten verwendeten Wörter im Deutschen kommt verschollen natürlich nicht vor. Dafür haben sich hier andere Kuriosa hineingedrängt: Auf Platz 63 das erste Substantiv, nämlich Prozent, ebenfalls dabei die Wörter Euro und Millionen. Tatsächlich hat sich irgendjemand mal die Mühe gemacht, elf Millionen deutsche Wörter zu zählen und der Häufigkeit nach zu sortieren. Dass es »Prozent«, »Millionen« und »Euro« in die Top 10 geschafft haben, ist aus meiner Sicht für unser Volk bezeichnend. In Spanien wäre wahrscheinlich »Sonne«, in Frankreich »Essen« und in Großbritannien »Regenschirm« ähnlich erfolgreich in den Charts.
    Grundsätzlich ist die deutsche Sprache nicht frei von Tücke und offenen Fragen. Außerdem ist sie weiterhin im Fluss, was zumindest die Menschen aus Bad Sülze hoffen lassen kann. 1999 zum Beispiel gesellte sich zur Familie der bereits existenten Wörter »sitt«. Sitt war der Gewinner eines Wettbewerbs mit der Preisfrage: Wie sollen wir im Deutschen sagen, dass wir keinen Durst mehr haben? Die Duden-Redaktion entschied sich aus 45000 Vorschlägen für sitt. Den Erfolg der Wortneuschöpfung können Sie selbst überprüfen, indem Sie sich ins Gedächtnis rufen, wann Sie zuletzt »sitt« sagten. Nie? Sehen Sie, deswegen ist der kleine Schelm aus dem Duden auch schnell wieder

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