Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
Vielmehr duftet es in Süßen und Kuchen wegen seiner stickigen Tallage und fehlender Bundesstraßenumgehung meist nach Abgasen.
Bei Gasen fällt mir gerade ein Kabarettist aus dem Ruhrgebiet ein, der mal sagte, Richtung Süden nehme er immer die »Verdauungsroute«: Essen, Darmstadt, Pforzheim. Ich kann nicht abstreiten, dass ich darüber albern gekichert habe.
Leider hat es die Verdauungsroute noch nicht auf die offizielle Liste der deutschen Ferienstraßen geschafft. Davon gibt es mittlerweile mehrere Dutzend, man erkennt sie an den kleinen, braunen Hinweisschildern. Die älteste unter ihnen ist die Deutsche Alpenstraße, schon 1927 gegründet, rund 450 Kilometer lang und in ihrem Verlauf zwischen Bodensee und Berchtesgadener Land wirklich von spektakulärer Schönheit.
Unglücklicherweise kann man nicht von allen Ferienstraßen behaupten, dass sie schön und spektakulär, oder wenigstens eines von beidem sind. Die »Mitteldeutsche Straße der Braunkohle« ist zum Beispiel schon anhand ihres Verlaufs Bitterfeld–Leipzig–Altenburger Land–Zeitz–Hohenmölsen–Weißenfels–Halle nur für robuste Gemüter geeignet. Ausgemusterte Schaufelbagger und stillgelegte Brikettfabriken sind auch nicht gerade die Objekte, die landläufig als »schön« empfunden werden. Und die Seenlandschaften, die in den letzten zwanzig Jahren auf den ehemaligen Tagebaugeländen entstanden sind, sehen eben auch nur aus wie Seenlandschaften, die in den letzten zwanzig Jahren auf ehemaligen Tagebaugeländen entstanden sind.
Das westdeutsche Pendant ist übrigens die »Straße der Energie« im rheinischen Braunkohlerevier westlich von Köln. Recht wenig Glamour verspricht auch der Name einer ziemlich neuen Ferienroute in Mecklenburg-Vorpommern, die sich »Lehm-und Backsteinstraße« nennt. An der Route kann man lernen, wie aus Lehm in den Ziegeleien, gähn, Backsteine hergestellt, gääääähn, werden, die dann in Backsteinkirchen, Moment, ich muss eben einen Schluck kräftigen Kaffee trinken, aaah, also, die Backsteine werden dann zu Kirchen oder sonstigen Bauten verarbeitet, und das kann man sich auf 54 Kilometer im östlichen Kreis Ludwigslust-Parchim angucken. Wenn man es denn unbedingt will.
Wenig Applaus dürfte auch ein Lehrer ernten, der seinen Schülern als Ziel für die nächste Klassenfahrt die »Straße der Megalithkultur« vorschlägt. Allein die Landschaft zwischen Osnabrück, Bramsche, Meppen, Lingen, Cloppenburg und Oldenburg ist schon nicht das, was Jugendliche als »cool« bezeichnen würden – und Megalithsteine sind’s schon mal gleich gar nicht.
In irgendwelchen Wäldern liegen Findlingsklumpen, die vor rund 5000 Jahren als Grabstätten gedient haben. Das mag historisch zwar faszinierend sein, der Anblick kann mit einem gut gemachten Adventure auf einer Spielkonsole aber wohl kaum mithalten.
Näher am Geschmack der Masse könnte die »Fußballroute NRW« sein. Sie führt auf 550 Kilometer Länge vorbei an den Stätten großer Traditionsvereine, nicht nur an Stadien und Sehenswürdigkeiten, sondern auch an ausgewiesenen Fankneipen mit günstigen Bierpreisen. Da auch Städte wie Wuppertal und Krefeld beteiligt sind, deren Fußballclubs heute fern ihrer einstigen Stärke sind, muss auch auf ein wenig Wehmut und Patina nicht verzichtet werden. Die Route ist keine Ferienstraße im eigentlichen Sinn, da sie statt mit dem Auto nur mit dem Fahrrad befahren werden kann, aber ein bisschen strampeln tut ja nach einem Abend mit günstigem Bier oft ganz gut.
Schwungvoller als sein Name vermuten lässt, ist übrigens auch der Rheingauer Flötenweg, der erwandert werden muss. Wer befürchtet, an diesem Weg auf Touristenhäscher zu treffen, die samt und sonders als Peter Pan oder Hamelner Rattenfänger verkleidet sind, wird – sofern er Weintrinker ist – positiv überrascht. Denn Flöte ist der Begriff für die typische Rheingauer Weinflasche. Der Weg führt an insgesamt vierzehn Weingütern mit Ausschank vorbei. Wer den Flötenweg ernst nimmt, hat also nach kompletter Bewältigung amtlich einen im Tee. Grundsätzlich spielen Alkoholika bei den deutschen Touristenrouten eine große Rolle: Stolze neunzehn Ferienstraßen laden zum Suff mit kulturellem Anstrich ein. Von A wie Ahr-Rotweinstraße bis W wie Württemberger Weinstraße bieten die verschiedensten Regionen Cin-Cin-Corsi für Automobilisten an, die bereit sind, zur Planerfüllung auf der gewählten Wein-oder Bierroute ihren Führerschein aufs Spiel zu setzen.
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