Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

einen anderen Zankapfel beseitigt: Die legendäre Hessenkurve. Sie liegt an einer etwa 47 Kilometer langen Staatsstraße im nördlichen Landkreis Aschaffenburg. 500 der 47000 Meter Staatsstraße gehörten durch einen leicht phallisch geformten Grenzverlaufsauswuchs bis 2011 zu Hessen und sorgten für administrative Verwirrung: So mussten Verwarnungsgelder für Geschwindigkeitsüberschreitungen bis neunzehn Stundenkilometer an die bayrischen Behörden gezahlt werden. Bußgelder hingegen, die ab zwanzig Stundenkilometer zu schnell oder mehr fällig werden, zieht die hessische Seite ein. Bei Auffahrunfällen im Verlauf der 500 Meter Straße wurden Beamte der bayrischen Polizeiinspektion Alzenau hinzugezogen. Sollte sich einer der Fahrer jedoch als alkoholisiert erweisen, ist die Staatsanwaltschaft im hessischen Hanau für die weiteren Unfallermittlungen verantwortlich. Leider ist dieses feine Kuriosum mit Inkrafttreten eines neuen Staatsvertrages, um den mehr als zehn Jahre gerungen wurde, hinfällig geworden. Die Kurve ist jetzt bayrisch, dafür wächst Hessen an anderer Stelle um etwa 1,8 Hektar – ob sich auf der Ausgleichsfläche auch ein Regenrückhaltebecken befindet, ist leider nicht überliefert.
    Sie merken schon, an solchen Kleinteiligkeiten labt sich mein Herz. Stundenlang könnte ich durch den Heppenheimer Stadtteil Ober-Laudenbach laufen und den Duft der Besonderheit inhalieren. Die Hauptstraße des Ortes gehört zu Baden-Württemberg, die anliegenden Häuser an dieser Straße allerdings zu Hessen. Oder einfach mal jauchzend durch die Nieuwstraat in Herzogenrath bei Aachen tänzeln. Die östliche Bebauung ist deutsch, die westliche niederländisch. Am schönsten stelle ich mir vor, auf dieser Straße provokativ eine Riesentüte zu rauchen und immer auf die westliche Seite zu flüchten, wenn mich die deutsche Polizei wegen Drogenbesitzes in nicht geringen Mengen schnappen will.
    Ein kleiner Traum von mir ist außerdem eine Reise ins Oberpfälzische an die Quelle der Waldnaab. Dieser 173 Kilometer lange Fluss entspringt und desertiert noch im Rinnsalszustand direkt auf tschechisches Gebiet, nämlich genau drei (!) Meter hinter seiner Quelle. Im Böhmischen scheint sich die Waldnaab allerdings auch nicht recht wohl zu fühlen, denn schon nach einem Kilometer wird sie wieder deutsch, was sie bis zur Mündung auch bleibt. Allerdings ändert sie nach dem Zusammenfluss mit der Fichtelnaab, der Schweinnaab und schließlich der Haidenaab ihren Namen in nur noch Naab und kommt unter diesem Decknamen in Regensburg in der Donau an. So ein wankelmütiges Gewässer, das sich weder auf eine Nationalität noch einen einheitlichen Namen einigen kann, muss doch allemal eine Reise wert sein.
    Ein ähnliches Kabinettstückchen gelingt der Donau an ihrem untersten Unterlauf übrigens auch noch mal: Nach fast 2800 Kilometern durchfließt sie den jungen Staat Moldawien auf einer sagenhaften Länge von 340 Metern. Nur weil die benachbarte Ukraine eines Tages die Spendierhose trug, konnte Moldawien sich weitere 230 Meter Uferstreifen ertauschen – und auf den jetzt 570 Metern soll ein international tauglicher Schifffahrtshafen entstehen, der Moldawien zu einem vollwertigen Mitglied im Donau-Anrainer-Dezett macht.
    Haben Sie sich eigentlich schon einmal Gedanken darüber gemacht, dass die Donau nur durch einen glücklichen Zufall bis zu ihrer Mündung Donau heißt – und nicht Inn? In Passau nämlich, wo Inn und Donau zusammenfließen, ist die Donau gerade mal 580 Kilometer lang. Der Inn knapp 520, allerdings breiter und häufig wasserreicher als die Donau. Wäre nun also der Inn nur ein Stück länger, wäre ihm die Ehre als Namensgeber des zweitlängsten Flusses Europas zuteil geworden. Dann hieße es auch nicht »Iller, Lech, Isar, Inn fließen rechts zur Donau hin« sondern vielleicht »Iller, Lech und Isar fließen in den Donaufluss, der kürzer als der Inn ist und seinen Namen ändern muss«. Auch ganz griffig, oder? Der Donau-Nebenfluss-Reim konkurriert übrigens heftig mit dem bekannten Weser-Merksatz: »Wo Werra sich und Fulda küssen, sie ihren Namen büßen müssen. Und hier entsteht durch diesen Kuss, deutsch bis zum Meer der Weser Fluss« – der es am Ort des Kusses in Hann. Münden sogar zu einer Steininschrift gebracht hat.
    Ach, ich verehre Eselsbrücken wie weiland mein Großvater die Lollobrigida. Ein allerherrlichster Satz dieses Genres ist »Mein Vater erklärt mir jeden Samstag unsere neun Planeten«, den