Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
ist meine Geheimsprache an drei Faktoren gescheitert:
Sie dauert zu lange.
Sie ist nicht so geheim, wie ich mit acht Jahren gedacht habe. Und am schwerwiegendsten:
Kein normales Kind will mit einem Achtjährigen einen Detektivclub gründen, der in seiner Freizeit Autokennzeichen auswendig lernt.
Hartes Brot, aber es könnte härter sein. In einem der Länder beispielsweise zu leben, deren Kennzeichen keine regionale Zuordnung zulassen (einige Beispiele wurden weiter vorne ja schon aufgeführt). Belgien ist eines davon – allerdings sind die aufschlussarmen Kennzeichen wahrscheinlich das geringste Problem unserer Nachbarn im Westen. Von wo auch immer Sie in dieses klamme Königsreich reisen, es wird Ihnen sofort auffallen, dass Sie angekommen sind. Und zwar nicht nur an den legendären beleuchteten Autobahnen, sondern am grundsätzlichen Modernisierungsstau, der sich wie Mehltau über das Land zwischen Nordsee und Ardennen gelegt hat. Kabel verlegt der Belgier stets überirdisch. Während bei uns für Leitungen von Haus zu Haus Straßen aufgerissen, Röhren versenkt und die Straßen anschließend wieder zugeflickt werden, hängt der Belgier die Kabelläufe einfach von Dach zu Dach. Wenn ein neues Haus gebaut wird, kommt ein neues Kabel dazu. Wenn die Kapazität erschöpft ist, kommt ein neues Kabel dazu. Wenn das alte nicht mehr recht funktioniert, kommt ein neues Kabel dazu. Es gibt Straßenecken in Belgien, die man selbst bei heftigem Regen trockenen Fußes passieren kann, so dicht ist das Netz an Kabeln mittlerweile.
Ebenso groß wie die Vorliebe für Kabel scheint die Abneigung gegenüber Renovierungsarbeiten zu sein. In großen Teilen des Landes könnte man Filme drehen, die in längst vergangenen Jahrzehnten spielen, ohne dafür am Szenenbild auch nur eine Veränderung vornehmen zu müssen. Neben Kaschemmen mit ausgeblichenen Schildern der Brauerei Jupiler leuchten über inhabergeführten Bekleidungsgeschäften geschwungene Neonröhrenlettern mit einer Fettschichtpatina, die sie der benachbarten Frittierstube zu verdanken haben, deren armselige Schaufenstergardinen zum letzten Mal anlässlich der Inthronisation von Königin Fabiola 1960 gewaschen wurden. Ich erinnere mich noch gut an eine Metallbrücke in Bahnhofsnähe von Antwerpen. Sie überspannte eine verkehrsreiche Kreuzung und ermöglichte eine ampelfreie Überfahrt. Stundenlang stand ich mit meiner Kamera daneben, weil ich derjenige sein wollte, der in Bildern festhält, wie dieses über und über korrodierte Bauwerk unter einem Reisebus die Grätsche macht. Sie überstand meinen Antwerpen-Aufenthalt aber überraschenderweise.
Natürlich konnte jahrelang in Belgien weder eine Fassade noch eine Brücke noch sonst irgendetwas renoviert werden, weil das ganze Geld ja in die Beleuchtung der Autobahnen gesteckt werden musste. Seit 1950 wurden mehr als 150000 Laternenmasten verbaut, weil man der recht exklusiven Einzelmeinung war, dass durch helle Autobahnen weniger Unfälle passieren. Ich weiß nicht genau, was eine belgische Autobahnlampe in der Anschaffung kostet. Wenn wir von 1000,– Euro pro Stück ausgehen (was mir angesichts des Preises mancher Esszimmerlampen extrem günstig vorkommt), hat diese wirre Idee im Lauf der Jahre schon mal stolze 150 Millionen Euro gekostet. Allerdings ist in diesem Preis noch kein Watt Strom enthalten. Nachdem sich die Wallonie Anfang des Jahres 2011 für die Abschaltung der Beleuchtung entschieden hatte, gab sie ein Einsparpotential von jährlich 9,5 Millionen Euro an. Bald darauf zogen auch die Flandern im Norden nach, deren Autobahnnetz sogar noch etwas länger ist als das des Südteils. Wir können also davon ausgehen, dass pro Jahr etwa zwanzig Millionen Euro für helle Autobahnen verbraten wurden. Da ja, wie weiter oben bereits erwähnt, schon 1950 die ersten Schnellstraßen in gelbes Licht getaucht wurden, kann man per Hochrechnung davon ausgehen, dass sich Material und Stromkosten auf deutlich mehr als eine Milliarde Euro addieren. Und für dieses Geld hätte man sich gerade in diesem Land wirklich viele andere schöne Dinge leisten können.
Was man sich hingegen leistet, ist neben der flämischen und der wallonischen noch eine eigene Regierung für die Deutsch sprechenden Belgier im Osten des Landes. Rund 75000 deutsche Muttersprachler wohnen auf einem recht großen, allerdings auch recht dünn besiedelten Gebiet. Und mit ihrer »Deutschsprachigen Gemeinschaft«, kurz DG, nehmen’s die Belgier echt ernst:
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