Nichts, was man fürchten müsste
aufzubewahren. Jahrzehnte später war auch er so gut wie tot und wurde ebenfalls eingefroren, um so des ersehnten Wiedersehens mit seiner Frau zu harren.
Für Thanatoliberale, die eine mittlere Position zwischen der marktwirtschaftlichen »Ex und Hopp«-Haltung zum Leben und der sozialistischen Utopie eines ewigen Lebens für alle suchen, mag sich das Einfrieren als Lösung anbieten. Man stirbt und stirbt doch nicht. Man wird ausgeblutet, der Körper eingefroren, und man wird am Leben gehalten oder zumindest vor dem vollständigen Tod bewahrt, bis die Krankheit heilbar oder die Lebenserwartung so groß geworden ist, dass man beim Aufwachen noch viele lange Jahre vor sich hat. Eine Neuinterpretation der Religion durch die Technologie und zugleich eine Wiederauferstehung von Menschenhand.
Der französische Fall fand vor Kurzem ein bitter-vertrautes Ende: Eine elektrische Störung ließ die Temperatur der Leichen auf einen Wert ansteigen, der eine Rückkehr ins Leben unmöglich machte, und der Sohn des Paares erlebte den Alptraum eines jeden Tiefkühltruhenbesitzers. Mehr als die Geschichte selbst hat mich jedoch das Foto beeindruckt, das in der Zeitung neben dem Artikel abgedruckt war. Es war im Keller des französischen Hauses aufgenommen und zeigte den Ehemann – damals schon seit Jahren »Witwer« – neben der schäbigen Kiste mit seiner Frau. Auf der Gefriertruhe stand ein Krug mit Blumen und ein gerahmtes Foto der Frau in der Blüte ihrer Jahre. Und neben diesem Kabinett absurder Hoffnung hockte ein verhärmter, deprimiert wirkender alter Mann.
Es konnte ja auch nicht funktionieren, nicht wahr? Und wir sollten an ihrer Stelle dankbar sein, dass es nicht funktioniert hat. Die Zeit anhalten? Die Uhren neu aufziehen (oder die Zeiger zurückdrehen – was meine Mutter nie zugelassen hätte)? Stellen Sie sich vor, Sie sind eine vitale junge Frau, die mit etwa dreißig Jahren »stirbt«; stellen Sie sich vor, Sie wachen auf und sehen, dass Ihr getreuer Ehemann seine natürliche Lebensbahn vollendet hat und dann seinerseits eingefroren wurde, und jetzt sind Sie mit einem Mann verheiratet, der in Ihrer Abwesenheit zwanzig, dreißig, vierzig Jahre älter geworden ist. Machen Sie dann da weiter, wo Sie aufgehört haben? Stellen Sie sich das »Bestcase«-Szenario vor: Sie »sterben« beide in etwa demselben Alter, sagen wir zwischen fünfzig und sechzig, und werden wiederbelebt, wenn es ein Heilmittel für Ihre Krankheiten gibt. Was genau ist da geschehen? Sie wurden ins Leben zurückgeholt, nur um von Neuem zu sterben, diesmal allerdings ohne jede Jugend. Sie hätten an das Beispiel von Pomponius Atticus denken und es beherzigen sollen.
Die Jugend wiederzuhaben und nicht nur dem zweiten Tod ein Schnippchen zu schlagen, sondern auch dem ersten – dem, der für Montaigne der schwerere war: Das ist die wahre Fantasievorstellung. In Tir-na-nog zu leben, dem keltischen mythischen Land der ewigen Jugend. Oder in einen Jungbrunnen zu steigen: die im Mittelalter beliebte, materialistische Abkürzung zum Paradies. Man taucht in das Wasser ein, und schon wird die Haut rosig, alle Runzeln verschwinden, alle Putenhalslappen straffen sich. Das ganze bürokratische Verfahren von Jüngstem Gericht und Seelenprüfung entfällt. Das technologische Wunder einer Wasserkur, die Jugend herbeizaubert, während das plumpe Einfrieren nur ein verzögertes Alter zustande bringt. Die Tiefkühlfans kann das dennoch nicht beirren: Wer sich jetzt einfrieren lässt, vertraut zweifellos darauf, dass die Stammzellentechnologie die biologische Uhr wieder aufziehen wird, wenn dereinst ihr réveil mortel anderer Art kommt: »O du vernünftiges Wesen / Das ein ewiges Leben ersehnt.«
Ich habe Somerset Maugham vorschnell verurteilt. »Die große Tragödie des Lebens besteht nicht darin, dass Menschen sterben, sondern dass sie aufhören zu lieben.« Mein Einwand war der eines jungen Mannes: Ja, ich liebe diesen Menschen und glaube, das wird auch so bleiben, und selbst wenn es nicht so bleibt, finde ich bald eine andere und sie einen anderen. Wir werden beide wieder lieben und es beim nächsten Mal, durch Unglück klüger geworden, vielleicht besser machen. Aber das hat Maugham ja gar nicht bestritten, er hat nur weitergedacht. Ich erinnere mich an die (vielleicht auf Sir Thomas Browne zurückgehende) lehrreiche Geschichte von dem Mann, der einen Freund nach dem anderen zu Grabe trug und jedes Mal etwas weniger Kummer empfand, bis er schließlich
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