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Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Titel: Nichts Weißes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Erdmann Ziegler
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Fräulein Fleck unter dem Dach einer Beamtenfamilie in Kaiserswerth, kein Besuch nach zwanzig Uhr, bitte schön, war nicht das gewesen, was sie sich unter rheinischer Lebensart vorgestellt hatte. Petrus hatte immerhin zwei Zimmer in Unterbilk, ein bisschen dunkel, aber hoch und mit Stuck, Musiktruhe, Boschkühlschrank, Biedermeiersofa – dieses geerbt –, und Ende Mai ’58 war es schon so weit, ein paar Gläser Alt in der Altstadt, mit der Dauphine am Rheinufer auf und ab, lange Blicke vom Fahrersitz zum Beifahrersitz und zurück. Der Abend sollte unvergesslich bleiben, weil das Biedermeiersofa mittendrin zusammenbrach, während im Nebenzimmer, kritt-kritt, eine Single von Chuck Berry auf der Leerrille lief.
    Nach Kennedy wurden sie zum ersten Mal unter den Ostermarschierern gesichtet, Lore in einem blau-weiß-gestreiften Rock wie umgedrehte Melittatasse, Johanna in einem Vorkriegskinderwagen mit riesigen Speichenrädern, Petrus in seinen affigen Slippers mit Ledersohle: »Nie wieder Krieg!« und »Atomwaffen niemals!« (und nie wieder Sonntagsschuhe). Von zweihundert Teilnehmern waren sieben junge Paare aus der Pomona dabei, leicht zu erkennen an den Kinderwagen und Sportkarren. Auf der Pomona gab es keine Omas zum Aufpassen.
    Im Süden der Siedlung war ein Rest der Plantage stehengeblieben, eine enorme Wiese, eine Senke zur Bundesstraße hin, die Verbindung mit der Brücke nach Düsseldorf. Petrus fuhr selbst jeden Tag zweimal an der Siedlung vorbei, mit sechzig im vierten Gang, bevor er abbog, aber mit seiner guten Absichtwar er wohl allein. Gewiss waren die Grundstücke in der Senke die besten, der Siedlung abgewandt und nicht teuer, schon gar nicht im Vergleich zu Düsseldorf; aber der Krach! Über dieses Thema war Petrus, nämlich beim Ostermarsch 1965 (jetzt: Hush Puppies mit Kreppsohle), zur kleinen Gruppe der Pomos gestoßen, die lange berieten, den Siedlungsarchitekten befragten, mit den Ämtern telefonierten, um schließlich, am 1. August 1967, der Stadt Neuß vorzuschlagen, einen Erdwall aufzuschütten, um ein »ruhiges Wohnen im Grünen«, wie einst versprochen, wieder möglich zu machen. Ein Debakel ahnend, begann die Erschließungsgesellschaft, Konzessionen beim Kaufpreis zu machen. Beflügelt von der eigenen Aktivität, erwarben die Schullers Pomona 133, eines der größten Grundstücke überhaupt, und zahlten es, wie Oberholtzer staunte, »aus der Portokasse«. In der Tat war bis dahin genug angespart. Es reichte sogar, um den Alfa zu behalten und einen nagelneuen VW Variant Kombi in Leuchtendorange dazuzukaufen. Der allerdings Lärm machte für zwei.
    Lore hatte ein helles und empfindliches Gesicht, in dem man lesen konnte, Trübnis zu erkennen an einem Quellen der Augen, Freude daran, wie sie kleiner wurden, kristallin, graublaue Murmeln, da fiel weggucken schwer. Petrus’ Züge waren schon damals ledern und streng, die Brauen, dunkel, trafen sich fast in der Mitte, der Mund eher silbern als rot, etwas von einem Seetier, das man findet und öffnet; ein höhnischer Zug, der sich verkehren konnte in epikureisches Grinsen. Lore war klug genug, nichts gegen Elvis zu sagen, weil das das Herz eines Mannes verhärtet und seinen Stecken weichmacht; sie setzte aufs Gegenteil. Kaum hatte es angefangen, ahnte sie, dass es nicht leicht werden würde. Er war in Nebensachen beredt und in Hauptsachen schweigsam. Die Leichtigkeit der ersten Wochen, immer am Rande der Groteske wegen der Verhütung, war ihre eigene gewesen, ein Geschenk an ihn,etwas, das von ihrer Familie kam und das er nahm, als wäre es selbstverständlich. Sie hatte die Schritte der flotten Tänze bald gelernt, die die Älteren unanständig fanden; mit Polka hatte sie es schließlich auch nicht. Petrus war hingerissen gewesen, was der Rock’n’Roll mit den Gesichtern der Mädchen machte, ein Als-ob, die offenen Münder, die schwach werdenden Augen. Aber sie blieben ängstlich, das notorische Lichtaus, rankommen schon, aber. Dagegen Lore: der Tanz prima Routine, mehr nicht, ihre Nacktheit aber graziös, ihr Wohlsein darin offensichtlich. Und dann gab es noch eine Überraschung, als der Paartanz plötzlich altmodisch und die Musik immer schwärzer wurde, lockerer, Bläser dazu: Das passte zu ihr, diese Mischung aus Einknicken und Boxen – oder wie sollte man das beschreiben? –, noch mit Pferdeschwanz und doch schon in einer anderen Zeit.
    Ernst und entschlossen war Johanna ihrem Vorkriegskinderwagen entstiegen, ein Kind von

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