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Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Titel: Nichts Weißes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Erdmann Ziegler
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ist.
    Die Pomona 133 gehörte den Kindern. Lore fragte sich, ob es besser sei, deren Leben zu steuern oder sich mit ihnen treiben zu lassen. Sie skizzierte auf dem kleinen Block eine Revuenummer, die Phalanx der Girlies von links als Fragezeichen und von rechts als Ausrufungszeichen. Sogar Linus hatten die Mädchen angenommen wie Spielzeug, sie konnten es gar nicht abwarten, ihn zu baden, zu wickeln und in den Schlaf zu wiegen. Das ganze Kleingemüse aus der Reihensiedlung war dabei, das Ritual minutenweise in den Abend gedehnt; zum Glück hatten die fremden Blagen ihre Zeiten. Johanna war immer die Anführerin, ob es fünfzehn Kinder waren oder vier. Marleen aber entzog sich.
    Vielleicht war das mit den Western auch nur vorgetäuscht. Lore setzte sich ins verlassene Fernsehzimmer, während eine dieser Serien lief, völlig unverständliches Zeug, erst recht ohne Ton. Lore setzte sich vor dem stummen Fernseher in einen Sessel. Marleen erschrak ein bisschen, als sie zurückkehrte, sie fremdelte vor der eigenen Mutter oder fühlte sich ertappt, aber überspielte das, offener Mund, die Augen niedergeschlagen. Sie fläzte sich auf den Flokati. Versöhnungsszene in der Familie, überzogen gespielt. Die Ranch im Abendlicht. Und plötzlich saß Marleen aufrecht, die Beine angezogen und die Arme drum herum geschlungen, den Kopf auf den Knien. Sie rührte sich nicht. Über den Bildschirm lief der Nachspann:Titel, Darsteller, Produktion, die Schrift wie von Hand gepinselt, gezackt, flackernd, weiß auf schwarz. Marleen war sechseinhalb. Als die Ansagerin erschien, ließ sie sich fallen, rollte über den Rücken auf die andere Seite, blickte ihrer Mutter in die Augen und wisperte selig:
    »Es ist immer genau gleich. Ganz genau gleich.«

Ohne Binde
    Petrus gab vor, nicht zu verstehen, oder er verstand tatsächlich nicht, als Oberholtzer den Türrahmen ausfüllte, wo er im Gegenlicht stehenblieb, den linken Arm über dem Kopf angewinkelt, als wolle er den Türsturz aus der Fassung heben. Auf Petrus’ Schreibtisch lag so etwas wie ein gynäkologischer Comic, ungeschickt gezeichnet und beschriftet. Oberholtzer kostete seine Verblüffung aus.
    »Werbung für Monatsbinden? Da würde ich aber eher auf die poetische Schiene setzen«, wehrte Petrus ab.
    »Is’ noch nicht so weit. Der Prokurist von der Hahn Kommanditgesellschaft träumt von einer Broschüre, mit der er die fachliche Ärzteschaft erreicht, mindestens, und damit alle Frauen und Mädchen im entsprechenden Alter, die sich dat dann aussuchen sollen.«
    »Aussuchen?«
    »Binde oder Tampon.«
    Fast hätte Petrus gefragt, was das sei, ein Tampon.
    Er schwieg für einen Moment. Durch sein gekipptes Fenster brachte eine Brise den Lärm der Wirtschaftsstadt herein, ein Schieben und Poltern, als wären die Gehirne Lochkartensysteme in Bewegung.
    »Und die heißen ausgerechnet Hahn?«
    »Warum nit?«
    »Na besser als Storch.«
    »Jung, die machen keine Pariser, die machen Tampons. Lass dir dat zu Haus mal erklären. Und da kannste auch die Jemälde bestellen.«
    Am Nachmittag stand Petrus im Buchhaus vor dem Regal mit pädagogisch wertvollen Ratgebern und wunderte sichüber die Vagheiten des aufklärenden Schrifttums. Nur der Sexualkunde-Atlas, versehen mit dem Vorwort einer progressiven Ministerin, gab Einsicht in den weiblichen Genitalapparat in einer Weise, dass sogar Petrus sich das ungefähr vorstellen konnte. Er kaufte zwei Exemplare. Eins ließ er im Büro, das andere würde er Lore zeigen, wenn die Kinder im Bett wären, oder wenigstens in ihren Zimmern. Man hatte sich gegen feste Zeiten entschieden, die Mädchen sollten lernen, den Tag und also auch die Nacht selbst zu planen.
    Er hatte es nicht eilig, als er den roten Alfa aus Düsseldorf heraussteuerte. Über der niederrheinischen Landschaft lag ein rosa Schimmer, eher der Verdacht einer Landschaft, einer Ausdehnung in die Ferne, die bis zur Nordsee reichen musste. Man sah eigentlich nichts, solange man sich bewegte. Also begann er, das Wolkenbild als Spiegel der Landschaft zu lesen, die sich verbarg, Schafherden, Nebelgeister. Der neue Auftrag verwirrte ihn.
    Dass alles abhängt von Marias Blut. Ach, Unsinn, es soll das Blut Jesu sein. Ein Mensch von Fleisch und Blut, von einer Jungfrau geboren. Was dann einer Defloration per Geburt gleichkäme. Die Vermischung des Blutes des Hymens mit dem Blut der Plazenta. Das Blut als Zeichen der Fruchtbarkeit. Des Todes. Der Erneuerung. Der Verwandtschaft. Eine Verwandtschaft nur

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