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Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Titel: Nichts Weißes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Erdmann Ziegler
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Schnarren, das wie Nadeln unter die Haut geht –, und Marleen, unser Wrack, öffnet wie in Trance. Es ist Esme mit zwei Koffern.
    »Esme, nein.«
    »Bitte.«
    Esmeralda, nach dem Familienbesuch in Murcia an Weihnachten, nahm Abschied von allem, was sie hatte sein sollen. Sie schrieb den Eltern selten und war zuletzt zu Pfingsten in der Kirche gewesen. Alle nannten sie Esme, und sie sprach lieber Deutsch als Spanisch. Sie pendelte zwischen Hochschule und Wohngemeinschaft. Für Dorit hatte sie nackt Modell gestanden und für zehn Leute Paella gekocht. Von Hendrik Müller als Liebschaft entdeckt, weich gemacht, weitergereicht, war sie bei den Schmidts in eine Ménage-à-trois gefallen, fast kein Abend ohne Besuch von Jörg oder von Axel, wobei Jörg zu den Schmidts gehörte, Axel nicht. Aber Jörg und Axel waren gute Freunde ‒ »Oder wie nennt man so was?« ‒ und wenn Jörg bei Esmeralda blieb, schlief Axel in Jörgs Zimmer. Wenn Jörg, der früher aufstand als alle anderen, sein Zimmer brauchte, wechselte Axel zu Esmeralda, und bevor ihr Tag begann, war sie zwei Jungen zu Gefallen gewesen,
    »Man riecht dann richtig, das kannst du dir gar nicht vorstellen.«
    Aber Marleen konnte sich das durchaus vorstellen, Franz und sie hatten sich auch nicht immer gewaschen, bevor es wieder losging. Marleen rollten die Tränen herunter, während Esme erzählte, und diese fühlte sich gut verstanden.
    »Sie wollen am Ende alles von dir. Nix ist denen heilig. Sie wollen dein Haar, deine Augen, deinen Mund, deinen Busen …«
    Marleen rang sich ein mattes Lächeln ab.
    »Sie wollen dich von oben begucken und von unten. Sie wollen deine, du weißt schon …«
    »Deine Scheide«, sagte Marleen,
    »… sie wollen das von hinten und von vorn, am besten noch zugleich, und dann gibt es ja auch noch das schöne Poloch. Und ich habe mich da drauf eingelassen, Jörg und Axel, für die war das so eine Art …«
    Marleen fing an zu lachen unter ihren Tränen. Was ihr schmerzhaft fehlte, hatte Esme zu viel. Was für eine Koalition von Pechvögeln.
    »Jedenfalls weiß ich nicht, wie ich wieder nach Hause fahren soll. Für meinen Vater bin ich das kleine Mädchen, die Jüngste, ich soll später mal ›gut‹ heiraten und so. Darüber habe ich gesprochen, ich meine, am Küchentisch der Schmidts wird über alles gesprochen. Und gestern Abend war Hendrik Müller bei uns, und das Thema kam drauf, und weißt du, was er gesagt hat?«
    Marleen, keine Tränen mehr, schüttelte den Kopf.
    »Der sagt: ›Ach Esmé, das macht doch überhaupt nichts, so ein bisschen männlicher Samen in dir drin‹, und die Jungs grinsen, und die Mädchen nicken wie bekloppt.«
    Marleen: »Aber es macht was aus.«
    Esme: »Es macht klar was aus. Es macht sogar in Kassel was aus. Ich meine, guck dir doch mal die Mädchen an, wie Brit oder so, die das nicht wollen oder irgendwie nicht hinkriegen, und alle reden hinter ihrem Rücken. Aber in Murcia erst, wenn ich das beichte, ich meine, wenn ich die Wahrheit sage, was die mit mir gemacht haben …«
    »Gemacht haben?«
    Jetzt fing Esme an zu weinen, »Was ich gemacht habe! Ich bin eine Hure … dann stecken die mich in ein Kloster … und ihr …«
    Marleen strich Esme, deren Kopf nun auf dem Küchentisch lag, über den Nacken,
    »Dann seht ihr mich nie wieder!«
    Nicht, dass Marleen nicht wusste, wovon Esme sprach. Sie dachte an den Bleisatz, wo man alles seitenverkehrt sah, ein Flüstern, selbst der komplette Schriftblock, »der fixierte Satz« noch ein Geheimnis, und dann, wenn man mit dem Quast drüberfuhr, das Papier bedruckte, schlug einem der Text entgegen, die Wirkung gesteigert, solange die Druckfarbe feucht war. Was das spanische Mädchen, das da aufgelöst in ihrer mexikanisch roten Küche lag, als Weg in die Verdammnis schilderte, kam Marleen keineswegs abstoßend vor, vielleicht sogar beneidenswert.
    Es brauchte zwei Tage und zwei Nächte, bis Esme aus dem Dunst ihrer Reue hervorkroch. Sie hatte über ihrem Bett die gerahmte Zeichnung bemerkt. Es war die Portraitstudie eines vergnügten Lausbuben, der einen Gegenstand halb verborgen in seiner rechten Hand hielt. Über seiner Schulter erschien ein weiterer Bube, mit einem festeren Gesicht und ausgeführtem Kragen.
    »Nein«, sagte Marleen. »Es ist die gleiche Figur. In einem Gesicht finden sich alle Regungen.«
    »Aber beide sind lustig.«
    »Ja, auf unterschiedliche Art, das stimmt.«
    »Wer hat es gemacht?«
    »Gezeichnet? Das weiß ich nicht. Irgendjemand, vor

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