Nichts Weißes: Roman (German Edition)
furchteinflößender Ruhe, das Petrus auf den Schultern trug wie eine Trophäe, ein Abbild seiner latinischen Physiognomie. Marleen kam beinahe glatzköpfig zur Welt und wurde ein blondes Kind, so dass man hätte sagen können, Gleichstand erreicht und Schluss. Vielleicht gab die Pomona den Ausschlag, der Rhythmus von Apfelblüte und Frucht, der Eindruck, dass die Kinder aus den Vorgärten in die Straßen rollten. Jedenfalls war Marleen noch nicht ein Jahr alt, als Lore wieder schwanger wurde und Cristina also das, was man im Showbusiness die Zugabe nennt, der vertraute Song, aufgespart, um ihn dem atemlosen Publikum glitzernd zu Füßen zu legen.
Johanna hatte früh laufen gelernt, um den Überblick zu behalten. Zur Verwunderung der Pomos weinte sie lautlos. Sie gab kampflos den hölzernen Babysitz an Marleen ab, die ihrerseits ein Höllengeschrei machte, als sie von Cristina entthront werden sollte, so dass Petrus genötigt war, aus Düsseldorf einen zweiten mitzubringen; die jüngeren Schwestern saßen sich dann gegenüber wie Königin im Spiegel. Johanna war erst drei und fütterte Cristina wie eine Amme; mit vier las sie flüssig. Und wenn man ihr mit sechs die Bauaufsicht für die Pomona 133 übertragen hätte, wäre sie damit nicht unglücklich gewesen, eine Soldatin der Familie, der Straße, der Siedlung.
Vielleicht war es die stolze Vorgeschichte der römischen Gründung – erfolglos belagert! –, die es dem Rat der Stadt so schwer machte einzusehen, dass man ausgerechnet am Rand der Pomona einen Wall errichten müsse. Und das nur wegen des Motorenlärms. Die Pomos schlugen vor, bei der Vermessung und Errichtung selbst tätig zu werden, und wollten sogar die Kosten übernehmen, was den Ämtern gar nicht gefiel, wo käme man hin, wollte man dem gemeinen Volk die Ausführung der Stadtbefestigung übertragen. Jedenfalls, am 21. November 1968 beschloss der Rat dieser Stadt, einst Novaesium und Nussia, dann Nuys und Neus, Neuß abzuschaffen und stattdessen »zur Herbeiführung einer einheitlichen Schreibweise« die Stadt forthin Neuss zu nennen. Nie sollte jemand behaupten können, die großen Umwälzungen der Zeit wären an der linksrheinischen Festung vorbeigegangen.
Was nun die Pomona betraf, gehörte die überhaupt zu Nuys? War diese Siedlung nicht ohnehin das glücklose Anhängsel eines zukünftigen Autobahnsystems, so dass sich die rebellischen Bewohner ans Landesstraßenbauamt wenden mussten? Und gab es nicht jenseits des Stadtkreises eine Unzahl von Dörfern und Siedlungen, gerahmt von Bundesstraßen und Autobahnen, die man, wenn das Beispiel der Pomona Schule machte, zu Sandburgen würde aufwerfen müssen? So leid es der Stadtverwaltung tat, da konnte man erst einmal gar nichts machen. Und übrigens: Wahlen standen an.
Eine solche Situation zu betrachten, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder stellt man fest, die Lösung ist nicht in Sicht. Oder man kommt zu dem Schluss, der Rückweg zum Nichtstun sei versperrt und die Verantwortlichen würden demnächst gegen den eigenen Willen zu handeln gezwungen sein. So dachte Petrus Schuller, ganz und gar ein Mann der Werbung, der es verstand, den Platz zu deuten, der sich zwischen Rückschritt und Vorteil auftut, und deshalb, durchaus zum eigenen Nutzen, das Rad der Geschichte weiterzudrehen. Er brachte aus Düsseldorf einen Architekten mit, der, zwei Meter lang, den Beifahrersitz im Alfa ganz zurückfuhr, während Oberholtzer, der den Architekten empfohlen hatte und nur aus Neugier dabei war, auf der Fahrt über den Rhein Petrus in den Rückspiegel sprach. »Das ist ja allerhand«, sagte Ober, nachdem er ausgestiegen war, sich die Knie unter seiner Bügelfaltenhose massierend. Da das Grundstück auf der Pomona keinen Zaun hatte, musste man sich erst einmal vergewissern, wo es endete.
Als wären seine Interessen nicht berührt, ließ der Architekt hören: »Wenn dat Wällschen nit kütt, sidder ihr aber jearscht.« Noch waren die Männer unter sich.
Die Pomona 133 war über einen Stichweg zu erreichen, an dem linker Hand leicht abschüssig drei Grundstücke lagen. Das erste grenzte an den Siedlungsrundweg, das letzte an die Reste der Plantage dort, wo der Wall entstehen sollte, und das mittlere präsentierte Petrus schließlich als seins. Zählte man die drei angrenzenden Grundstücke dazu, deren Zugang der nächste Stichweg sein würde, ergab sich ein Karrée von insgesamt sechs Grundstücken.
»Dat macht drei Grundstücksgrenzen, aber fünf
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