Nichts
brutaler Blitz und der darauf unmittelbar folgende Donnerschlag reißen mich jäh aus meinen Gedanken. Der bebende Himmel berührt längst den Boden. Hat sich zur finalen Schlacht der Gewalten mit ihm vereinigt. Nun rasen wir direkt durch das Wolkenmeer hindurch, nicht die geringste Chance mehr, darunter hinwegzutauchen. Der größte Teil unserer Elektronik hatte bereits bei Billy den Geist aufgegeben, so dass er die mechanischen Instrumente nutzen musste. Doch nun erfahren diese eine neue Dimension ihrer Bestimmung.
Maximal zwei Stunden!
Ein Blick auf das angespannte Gesicht Reynolds verrät mir, dass der Junge die Sache beherrscht. Ich weiß, die US-Navy legte größten Wert auf die Ausbildung ihrer Piloten, welch ein Glück. Der Mann verzieht keine Miene, handelt mechanisch, routiniert, hochkonzentriert. Und solange wir den Alten unter Kontrolle haben, wird das wohl auch so bleiben.
Ich werfe einen prüfenden Blick nach hinten in die Kabine. Alles ruhig! De Noirbouclier sitzt völlig regungslos da. Irgendwie scheint er mich auf eine besondere Art zu studieren.
Gerade als ich ihn darauf ansprechen will, öffnet er seinen Mund, kommt mir zuvor.
„Wofür brauchen Sie mich?“, scheint ihn zu interessieren. „Wieso haben Sie mich mitgenommen? Ich dachte, ich sei ihnen egal.“, ruft er durch den Lärm.
Na schau einer an!
Bin froh, dass er mich nicht durchschaut. Der allmächtige, göttliche Herrscher der Aobaynam, alt, allein und ratlos. Ein Triumph der geknechteten Evinaea über ihren Imperator?
Jedes B-Movie hätte diesen Moment dramatischer gestaltet. Keinesfalls so unspektakulär.
„Es gibt da noch eine Kleinigkeit…“, antworte ich auf seine Frage.
Goldwater! Die rechte Hand des Teufels.
Er wird mich erwarten, soviel dürfte, nach allem was ich bisher weiß, sicher sein. Und irgendwie beruhigt mich das sogar. Falls ich wirklich das Objekt der Begierde der Aobaynam bin, dann dürfte Goldwater von Anfang an keine andere Aufgabe gehabt haben, als meine Familie am Leben zu halten – egal was auch immer passieren mag. Nur so hätte man ein Druckmittel gegen mich in der Hand.
„Sie sagten vorhin, Ihr Volk würde auf mich warten. Was haben Sie damit gemeint?“
Der alte Mann schließt die Augen und neigt wortlos den Kopf, beinahe als wolle er beten. Wären seine Hände nicht mit diesen Plastikstreifen zusammengebunden, würde er sie falten. Will mir nicht antworten. Also drehe ich mich gleichsam stillschweigend um, starre aus dem Fenster und versuche angestrengt, durch diese wütende Wand hindurch, irgendwas zu erkennen.
Anzeichen einer Stadt donnern unter uns hindurch.
Vereinzelt gibt die dichte Wolkendecke den Blick auf sie frei. Las Vegas, die Stadt des Geldes, kein Zweifel. In den wenigen Sekunden, in denen ich überhaupt was erkennen kann, dominieren Ruinen. Braune, dreckige Trümmerhaufen einer offensichtlich vergangenen Pracht.
Rom brennt, ist alles, was mir dazu einfällt.
Die letzten zehn Tage haben viel verändert. Oder war es bei meiner Abreise auch schon so schlimm? Kann mich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Egal! Was jetzt noch zählt ist die Ranch. Von Vegas aus sind’s höchstens noch hundertdreißig Meilen. Ne halbe Stunde. Dreißig Minuten! Wie habe ich auf diesen Moment gewartet.
Mein Herz rast. Hände werden feucht, kann kaum noch die Waffe halten. Möchte vor Freude schreien, trotz all diesem Horror, der sich unter mir abspielt. Mich interessiert nichts anderes mehr als Julie. Komm, gib Gas, möchte ich Reynolds zurufen und stelle dabei fest, dass sich sein Gesichtsausdruck grundlegend verändert hat. Aus dem harten Kämpfer ist das geworden was er ist; ein kleiner, ängstlicher Junge. Scheint endlich in der Realität angekommen zu sein. Klar, er sieht die gleichen Bilder wie wir alle. Es ist vorbei! Die Welt ist am Ende. Aber irgendwie lässt mich das kalt. Jetzt, wo ich sie in wenigen Minuten in meinen Armen halten werde: meine Welt!
„Dürfte nicht mehr lange dauern!“, schreit mir Robert ins Ohr.
Ganz offensichtlich ebenso erfreut wie ich, taucht er urplötzlich neben mir auf.
„Kann’s kaum noch erwarten…“
Ich umgreife seinen Unterarm, drücke fest zu und ringe um die passenden Worte.
„Danke mein Junge!“, ist dann alles, was mir über die Lippen kommt. „Ohne dich hätte ich es niemals geschafft.“
Verlegen
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