Nick Adams Stories
geschlossenen Augen im Feuerschein lag. Bugs legte etwas Holz aufs Feuer.
«Brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen um ihn, Mister Adams. Hab ihn schon oft so gesehen.»
«Wodurch ist er verrückt geworden?» fragte Nick.
«Ach, durch allerhand», antwortete der Neger vom Feuer aus. «Wollen Sie eine Tasse Kaffee haben, Mister Adams?»
Er reichte Nick die Tasse und glättete den Mantel, den er unter den Kopf des bewußtlosen Mannes geschoben hatte.
«Erstens hat er zuviel abgekriegt.» Der Neger schlürfte seinen Kaffee. «Aber das machte ihn eigentlich nur ein bißchen einfältig. Dann war seine Schwester sein Manager, und es stand immer alles lang und breit in den Zeitungen von Bruder und Schwester, und wie sie ihren Bruder liebte, und wie er seine Schwester liebte, und dann heirateten sie in New York, und da gab es natürlich ’ne Menge Unannehmlichkeiten.»
«Ja, ich besinne mich darauf.»
«Bestimmt. Natürlich waren sie so wenig Geschwister wie wir zwei beiden, aber da waren eine Menge Leute, die es auf jeden Fall unerhört fanden, und dann begannen die Streitigkeiten, und eines Tages ging sie einfach weg und ist niemals zurückgekommen.»
Er trank seinen Kaffee aus und wischte sich mit der rosa Fläche seiner Hand den Mund ab.
«Er ist einfach verrückt geworden. Wollen Sie noch etwas Kaffee haben, Mister Adams?»
«Danke.»
«Ich hab sie ein paarmal gesehen», fuhr der Neger fort. «Sie war eine verdammt schöne Frau. Sah ihm ähnlich genug, um sein Zwilling zu sein. Er würde gar nicht schlecht aussehen, wenn sein Gesicht nicht so zugerichtet wäre.»
Er schwieg. Die Geschichte schien aus zu sein.
«Wo haben Sie ihn getroffen?» fragte Nick.
«Ich traf ihn im Gefängnis», sagte der Neger. «Nachdem sie ihn verlassen hatte, rempelte er immerfort Leute an, und da steckten sie ihn ins Gefängnis. Ich saß damals wegen einer Messerstecherei.» Er lächelte und fuhr mit sanfter Stimme fort: «Ich mochte ihn vom ersten Tag an, und als ich rauskam, hab ich ihn aufgesucht. Es macht ihm Spaß, zu denken, daß ich verrückt bin, und mir ist es egal. Ich bin gern mit ihm zusammen und bin gern unterwegs, und ich brauch keinen Diebstahl zu begehen, um es mir leisten zu können. Ich lebe gern wie ein Gentleman.»
«Was machen Sie denn beide?» fragte Nick.
«Oh, nichts, wir ziehen nur so rum. Er hat Geld.»
«Er muß ’ne Menge Geld gemacht haben.»
«Sicher, aber er hat all sein Geld ausgegeben. Oder man hat’s ihm weggenommen. Sie schickt ihm Geld.»
Er schürte das Feuer.
«Sie ist eine riesig famose Frau», sagte er. «Sie sieht ihm ähnlich genug, um sein Zwilling zu sein.»
Der Neger sah zu dem kleinen Mann hinüber, der schwer atmend dalag. Sein blondes Haar hing ihm in die Stirn. Sein verstümmeltes Gesicht sah in der Ruhe kindlich aus.
«Ich kann ihn jetzt jederzeit aufwecken, Mister Adams. Wenn’s Ihnen recht wäre, verduften Sie lieber. Ich bin nicht gern ungastlich, aber möglicherweise geht’s dann wieder an, wenn er Sie sieht. Ich vermöbel ihn furchtbar ungern, aber es ist das einzige, was man machen kann, wenn’s bei ihm losgeht. Ich muß ihn gewissermaßen von allen Leuten fernhalten. Sie nehmen’s mir nicht übel, Mister Adams, nicht wahr? Nein, bedanken Sie sich nicht bei mir, Mister Adams. Ich hätte Sie vor ihm gewarnt, aber er schien Sie so gern zu mögen, und ich dachte, es würde alles ganz friedlich gehen. Ungefähr zwei Meilen das Gleis rauf stoßen Sie auf eine Stadt. Sie heißt Mancelona. Auf Wiedersehen. Ich wünschte, wir könnten Sie bitten, über Nacht zu bleiben, aber es kommt einfach nicht in Frage. Möchten Sie etwas von dem Schinken und Brot mitnehmen? Nein? Nehmen Sie lieber eine Stulle mit.» Alles dies in einer weichen, tiefen, höflichen Negerstimme.
«Gut. Also auf Wiedersehen, Mister Adams. Auf Wiedersehen und alles Gute!»
Nick wanderte vom Feuer weg über die Lichtung auf die Eisenbahngleise zu. Als er aus dem Feuerbereich war, horchte er. Die tiefe, sanfte Stimme des Negers sprach. Nick konnte die Worte nicht verstehen. Dann hörte er den kleinen Mann sagen: «Ich hab furchtbare Kopfschmerzen, Bugs.»
«Wird Ihnen gewiß bald besser gehen, Mister Francis», besänftigte die Stimme des Negers. «Trinken Sie nur eine Tasse von dem heißen Kaffee hier.»
Nick kletterte die Böschung hinauf und ging dem Gleis nach. Er bemerkte die Schinkenstulle in seiner Hand und steckte sie in die Tasche. Als er von der ansteigenden Graden zurückblickte,
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