Nick aus der Flasche
ausgerechnet an Damenmode erinnerte! »Die Mädchen, die ich jetzt da draußen gesehen hab, trugen ganz kurze Hosen. Einfarbig, ohne auffällige Muster.«
Julies braune Augen leuchteten. »Was du beschreibst klingt nach Hippies!«
»Ja! Den Ausdruck kenne ich!« Es tat gut, dass sich langsam Bilder in seinem Kopf formten. Bruchstücke, Erinnerungen … doch noch wirkte alles wie ein verschwommenes Gemälde.
»Dann stammst du vielleicht aus dieser Zeit?«, vermutete sie. »Du hattest eine Schlaghose an und kennst die Serie
Bezaubernde Jeannie
.«
»Hm, wäre möglich.«
»Cool, ich liebe die Klamotten der damaligen Ära, aber Mom sieht mich nicht so gern darin.«
»Ich würde dich gerne im bunten Mini sehen«, meinte Nick und bereute es sofort, denn ihr Gesicht nahm eine dunkelrote Färbung an. Schnell sagte er: »Wie viel Zeit ist seit dieser Ära vergangen?«
Julie legte den Kopf schief und antwortete nach ein paar Sekunden: »Knapp fünfzig Jahre.«
»Ein halbes Jahrhundert!« Das war eine verdammt lange Zeit. Kein Wunder, dass sich so viel verändert hatte.
»Okay, lass mich mal testen …« Sie tippte sich ans Kinn und fragte: »Worauf war zu deiner Zeit Musik gespeichert?«
Er überlegte. »Schallplatte oder Tonbandgerät.«
»Ja, das passt«, erwiderte sie.
»Gibt es das heute noch?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht mehr zu kaufen, nur als Sammlerstücke. Statt Schallplatten haben wir CDs und Datenformate, die nennen sich MP3, und Filme gibt’s jetzt auf DVD oder Blue Ray.« Julie ging zu einer Kommode, zog die Schublade auf und holte ein paar Plastikhüllen heraus. »Siehst du, da drin sind nur so flache silberne Scheiben.«
»Da ist tatsächlich Musik drauf?« Ehrfürchtig hielt Nick die dünne Scheibe zwischen zwei Fingern.
»Hm, und ganze Filme.«
»Wahnsinn.« Vorsichtig reichte er sie Julie zurück.
»Ich besitze auch noch Videokassetten. Sagt dir das was?«
Er verneinte.
»Und Musikkassetten? Ich glaub, ich hab noch welche.« Sie kramte in einer anderen Schublade und holte eine kleine quadratische Plastikhülle heraus, die sie öffnete.
Nick entnahm das schwarze quaderförmige Kunststoffgehäuse und drehte es in der Hand. »Das kommt mir bekannt vor.«
»An welche Lieder erinnerst du dich?«
Als er »Let’s spend the night together« sagte, schaute Julie ihn ganz seltsam an und ihm wurde bewusst, was er von sich gegeben hatte. »Das ist von den Rolling Stones.«
Ihr Gesicht hellte sich auf. »Die gibt’s heute noch!«
Das beruhigte ihn. Wenigstens seine Lieblingsband hatte die Zeit überdauert.
»Ist dir sonst noch was aufgefallen?«
»Ich hab da was gesehen, so ein Kunstwerk im Vorgarten eines Hauses. Es war bestimmt zwei Meter groß und aus Metall. Eine Art Blume, die kunterbunt angemalt war.« Nick hatte gar nicht mehr die Augen davon abwenden können.
»Ach, das ist von Mrs. Warren.«
Julie klang nicht mehr ungehalten, weil er so lange weg gewesen war, was ihn ungemein erleichterte. Er wollte nichts tun, was ihr missfiel. Zu tief saß die Angst vor einer Strafe, obwohl Julie bisher nett zu ihm gewesen war.
»Von
der
Mrs. Warren?« Er runzelte die Stirn. Welch seltsamer Zufall, dass es ihn ausgerechnet zu der Frau gezogen hatte, die seine Flasche verschenkt hatte.
»Ja, sie hat früher mehrere dieser Kunstwerke zusammengeschweißt und angemalt«, erklärte sie. »Das war ihr Hobby. Diese Metallblume steht schon vor ihrem Haus, seit ich Mrs. Warren kenne. Sie hält sie in Schuss und bessert sofort aus, wenn irgendwo Farbe abblättert oder verblasst ist. Es liegt ihr viel an diesem Teil, nur hat sie mir nie verraten, warum.«
Nick hatte ewig am Zaun gestanden und auf das Gebilde gestarrt, bis Julie ihn rief. »Diese Blume erinnerte mich an irgendwas. Aber ich komm nicht drauf.« Noch nicht.
»Bestimmt an die Hippie-Zeit«, sagte sie. »Vielleicht fällt es dir wieder ein, wenn du eine Nacht drüber geschlafen hast. Du schläfst doch?«
»Ich glaube schon. Mein Körper funktioniert außerhalb der Flasche ziemlich normal.« Nick schaute sich um. »Wo kann ich denn schlafen?«
»Hier drin, hab ich mir gedacht.« Sie deutete auf ihr Puppenhaus. »Das ist doch optimal, und ich hab vorhin alles hergerichtet. Jetzt macht es direkt mal Sinn, dass ich alles aufhebe.«
Das konnte nicht ihr Ernst sein! »Ich soll in einem rosa Haus wohnen?«, fragte er vorsichtig.
»Oder in der Flasche«, erwiderte sie und zuckte mit den Schultern. »Was dir lieber ist. Aber so groß kannst
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