Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
versuchte zu grinsen, aber das tat noch immer zu weh. Jedenfalls würden wir so nicht gleich auffallen.
Ich griff nach der Reisetasche. »Fertig?«
»Fliegen wir jetzt nach England?«
»Erst müssen wir noch was erledigen. Komm!« Ich zupfte an ihrem Pferdeschwanz, mit dem sie wie ein Cheerleader im Miniformat aussah. Sie tat so, als ärgere sie sich darüber, aber ich merkte ihr an, daß sie meine Aufmerksamkeit genoß.
Wir fuhren mit der Rolltreppe wieder hinauf, machten einen Rundgang am äußeren Rand des Terminals entlang und gaben vor, die Flugzeuge auf dem Vorfeld zu besichtigen. In Wirklichkeit hielt ich nach zwei verschiedenen Dingen Ausschau. »Ich muß noch etwas aufgeben«, sagte ich, als ich das FedEx-Büro sah.
Die Nummer der Kreditkarte, von der die Versandkosten abgebucht werden sollten, schrieb ich von der Kopie des Mietwagenvertrags ab. Scheiße, Big Al sollte ruhig für ein paar Kleinigkeiten aufkommen, nachdem er jetzt reich war.
Kelly beobachtete genau, was ich tat. »Wem schreibst du?«
»Ich schicke etwas nach England - für den Fall, daß wir angehalten werden.« Ich zeigte ihr die beiden Disketten.
»Wem schickst du die?« Kelly wurde ihrem Vater von Tag zu Tag ähnlicher.
»Sei nicht so neugierig!«
Ich steckte die Disketten in einen FedEx-Umschlag, klebte ihn zu und schrieb die Adresse darauf. Früher hatten wir Kurierdienste benutzt, um der Firma in Hotelzimmern entwickelte Photos von Zielpersonen oder sonstiges Geheimmaterial zu schicken. Heutzutage war dieses Verfahren natürlich überholt; mit Digitalkameras kann man Photos machen, sein GSM-Mobiltelefon anschließen, eine Nummer in England wählen und die Bilder übertragen.
Danach setzten wir unseren Rundgang durchs Terminal fort. Ich fand die Steckdose, die ich suchte, am Ende einer Reihe schwarzer Plastiksitze, auf denen zwei Studenten schnarchten. Ich deutete auf die beiden letzten Sitze. »Komm, wir setzen uns einen Augenblick hin. Ich möchte mir etwas auf dem Laptop ansehen.«
Sowie ich den Laptop eingeschaltet hatte, fiel Kelly ein, daß sie Hunger hatte. »Fünf Minuten«, sagte ich geistesabwesend.
Was ich bereits gelesen hatte, bewies mir, daß in Gibraltar mit gezinkten Karten gespielt worden war, aber es hatte noch keine Erklärung dafür geliefert, was Kev damit zu tun hatte. Das wurde mir klar, als ich jetzt weiterlas.
Ende der achtziger Jahre hatte Maggie Thatcher die Regierung Bush offenbar unter Druck gesetzt, etwas dagegen zu unternehmen, daß Noraid in den USA Spenden für die PIRA sammelte. Bei Millionen irischamerikanischer Wähler, die dadurch vergrätzt werden konnten, war das jedoch ein schwieriges Vorhaben. Dann kam es zu einem Deal: Die Briten würden die Tatsache anprangern, daß mit Noraid-Geldern Drogen gekauft wurden, was dazu beitragen würde, die PIRA in den USA in Verruf zu bringen, und Bush würde daraufhin aktiv werden. Wer würde sich schließlich über eine US- Regierung beschweren, die sich im Kampf gegen den Drogenhandel engagierte?
Als der britische Geheimdienst Erkenntnisse über die über Gibraltar laufenden Drogentransporte der PIRA zu sammeln begann, schien sich eine Möglichkeit zu ergeben. Aber nach dem 6. März 1988 existierte sie plötzlich nicht mehr. Die vielen Wählerstimmen waren der Regierung Bush zu wichtig.
Anfang der neunziger Jahre gab es einen neuen US- Präsidenten - und in England einen neuen Premierminister. In Nordirland begann der
Friedensprozeß. Der Regierung Clinton wurde auf höchster Ebene mitgeteilt, wenn sie die PIRA nicht unter Druck setze, an den Friedensgesprächen teilzunehmen, würde die britische Regierung enthüllen, wozu in Amerika gesammelte Noraid-Spendengelder zweckentfremdet wurden. In den Augen der Weltöffentlichkeit hätten die USA, die andere Staaten so gern belehrten, dann als Versager im Kampf gegen den Drogenhandel im eigenen Hinterhof dagestanden.
Es kam zu einem neuen Deal. Clinton ließ Gerry Adams 1995 in die USA reisen, was nicht nur der irischamerikanischen Wählerschaft gefiel, sondern Clinton auch wie den Fürsten der Friedensstifter aussehen ließ. Damit schien er den erklärten PIRA-Gegner John Major zu brüskieren, aber die Briten störte das nicht weiter, denn sie wußten, was wirklich gespielt wurde. Hinter verschlossenen Türen wurde Gerry Adams mitgeteilt, falls die PIRA den Friedensprozeß behindere, würden die USA energische Zwangsmaßnahmen ergreifen.
Tatsächlich wurde daraufhin Waffenstillstand ausgerufen.
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