Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
Ich schloß die Schiebetür und hielt sie von innen zu. Die Toiletten waren so geräumig, daß sich auch Rollstuhlfahrer darin bewegen konnten. Jeder Laut schien ein Echo zu erzeugen. Der Boden war feucht und roch nach Putzmittel. Der Wartungsplan auf der Innenseite der Tür zeigte, daß die Toilette erst vor einer Viertelstunde geputzt worden war.
Mein Herz hämmerte so stark, daß ich es unter meinem Hemd spürte. Meine ganze Zukunft hing vom Verhalten einer Siebenjährigen ab. Sie mußte mit einer Hand unter die Kabinentrennwand greifen, sich die Umhängetasche schnappen, sie unter ihrem Mantel verstecken und weggehen, ohne sich auch nur umzusehen. Nicht allzu schwierig, nur mit tausend Risiken behaftet. Aber ohne Pässe konnten wir die USA nicht verlassen - so einfach war das. Und zu Big Al konnten wir unmöglich zurückfahren. Die lange Fahrt wäre riskant gewesen, und ich konnte Big Al nicht mehr trauen, weil ich nicht wußte, was er inzwischen getrieben hatte. Alles war einfach beschissen kompliziert. Wir mußten so schnell wie möglich aus diesem Land heraus, das stand fest.
Ich schrak aus meinen trübseligen Gedanken auf, als plötzlich mehrmals an die Tür geklopft wurde. »Nickkk!« sagte eine nervöse Stimme halblaut.
Ich zog rasch die Tür auf, ohne auch nur einen Blick nach draußen zu werfen: Kelly kam mit der
Umhängetasche hereingestürmt. Ich schloß die Tür wieder, verriegelte sie und drehte mich nach meiner Komplizin um.
Ich klappte den WC-Deckel herunter, und wir setzten uns nebeneinander. Kelly wirkte aufgeregt und ängstlich zugleich. Ich war nur ängstlich, weil ich wußte, daß jeden Augenblick die Hölle losbrechen würde.
Dann war es soweit. Die Mutter stürmte kreischend aus der Toilette. »Hilfe, man hat mir meine Handtasche gestohlen! Wo ist Louise? Louise!«
Das Mädchen kam heraus und begann weinend zu rufen: »Mommy! Mommy!«
Ich hörte Mutter und Tochter kreischend weglaufen. Trotzdem mußten wir vorerst bleiben, wo wir waren. Die Leute würden scharf aufpassen; wer aus der Toilette kam, war automatisch verdächtig. Ich blieb also sitzen und sah mir die Reisepässe an.
Wir hatten soeben Mrs. Fiona Sandborn und ihre Familie beraubt. Okay, nur sah Mr. Sandborn leider Mr. Stone überhaupt nicht ähnlich. Aber dagegen ließ sich später etwas unternehmen. Ein weiteres Problem konnte dadurch entstehen, daß beide Kinder in den Pässen ihrer Eltern eingetragen waren.
Ich nahm alles Geld und die Lesebrille aus der Umhängetasche. Da der WC-Spülkasten für mich unzugänglich an der Wand eingebaut war, gab es hier keine Möglichkeit, die Tasche zu verstecken. Ich stand auf, trat an die Schiebetür und horchte.
Die Frau hatte einen Polizeibeamten gefunden. Ich konnte mir die Szene da draußen gut vorstellen. Um die beiden würden sich mehrere Neugierige versammelt haben. Der Cop würde sich Notizen machen, den Diebstahl über Funk der Zentrale melden und wahrscheinlich alle WC-Kabinen kontrollieren. Mir brach der Schweiß aus.
Ich hatte das Gefühl, schon stundenlang an dieser Tür zu stehen und zu horchen. Kelly kam übertrieben leise auf Zehenspitzen heran. Als ich mich zu ihr hinunterbeugte, flüsterte sie mir ins Ohr: »Ist’s schon wieder in Ordnung?«
»Beinahe.«
Dann hörte ich ein Krachen und Klopfen. Jemand, vermutlich der Polizeibeamte, stieß die Türen der freien WC-Kabinen auf und klopfte an die Türen der anderen. Er suchte wohl weniger den Dieb, sondern wollte kontrollieren, ob die Tasche irgendwo ohne das Geld weggeworfen worden war. Gleich würde unsere Kabine an der Reihe sein.
Für lange Überlegungen blieb keine Zeit. »Kelly, wenn jemand anklopft, mußt du reden. Am besten .«
Klopf-klopf-klopf.
In der Echokammer der Behindertentoilette klang das Klopfen wie das Zuschlagen einer Zellentür.
»Hallo?« fragte eine Männerstimme. »Polizei! Ist da jemand drin?« Dabei versuchte jemand, die Schiebetür von außen zu öffnen.
Ich schob Kelly rasch zur Kloschüssel zurück und flüsterte ihr zu: »Antworte, daß du bald rauskommst.«
»Ich komme bald raus!« rief sie.
Von draußen kam keine Antwort, aber das Klopfen wiederholte sich an der nächsten Kabinentür. Damit war die Gefahr hoffentlich vorüber.
Nun mußte ich nur noch meine Pistole und die Magazine loswerden. Das war einfach. Ich steckte alles in Mrs. Sandborns Umhängetasche, die ich eng zusammenknüllte, damit sie in den nächsten Abfallbehälter paßte.
Erst nach einer Stunde glaubte ich,
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