Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
dem
Bücherregal, beide mit langweiligen weißen Schirmen. Das war wieder typisch Sarah. So tüchtig sie in ihrem Beruf war, so wenig Sinn hatte sie für die Gestaltung ihrer privaten Umgebung.
Es gab keinen Fernseher, was mich nicht überraschte, weil ich wusste, dass Sarah nie fernsah. Hätte man sie nach Seinfeld und Frasier gefragt, hätte sie vermutlich auf eine New Yorker Anwaltsfirma getippt. Mein Blick fiel wieder auf das Bücherregal. Die große Glasvase im untersten Fach hatte anscheinend nie Blumen enthalten; stattdessen war sie mit Münzen und Kugelschreibern und ähnlichem Krempel gefüllt, den Leute abends in ihren Taschen vorfinden. Daneben standen Doppelkarten: aufwändig gedruckte Einladungen zu Empfängen der britischen Botschaft oder des US-Kongresses.
Allein für den vergangenen Monat zählte ich sieben. Es musste schrecklich sein, zweimal in der Woche all die köstlichen Häppchen essen und ein paar Gläser Champagner kippen zu müssen.
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Auf dem Sideboard stand eine stinknormale, wahrscheinlich nicht sehr teure HiFi-Mikroanlage mit CD-Player, die ihren Zweck jedoch erfüllte. Daneben waren ein gutes Dutzend CDs aufgestapelt, von denen drei noch in ihren Klarsichthüllen steckten. Sarah hatte noch keine Zeit gehabt, sie sich anzuhören – vielleicht nächste Woche. Dort lag auch ein dickes CD-Album mit fünf Opern-Gesamtaufnahmen. Ich
drehte es zu mir her, um die Rückentitel lesen zu können. Eine der Opern war natürlich Così fan tutte – zu dem Wenigen, was ich über Sarah wusste, gehörte die Information, dass dies ihre Lieblingsoper war.
Ich sah mir die übrigen CDs an: digital überarbeitete Genesis-Aufnahmen aus den frühen Siebzigerjahren und eine CD einer Gruppe namens Sperm Bank mit einem scheußlich gestalteten, vermutlich geklauten Cover. Die würde ich mir anhören müssen, weil sie so aus dem Rahmen fiel. Sarah und ich hatten uns nie viel über Musik unterhalten, aber ich wusste, dass sie Opern liebte – während ich irgendwelche Sachen im Radio hörte und mir immer nur vornahm, sie zu kaufen, wenn sie mir gefielen.
Die Anlage lief noch im Standby-Betrieb. Ich öffnete das CD-Fach, legte Sperm Bank ein und drückte auf den
Abspielknopf. Aus den Lautsprechern kam ein verrückter tahitischer Rap/Jazz/Funk – ziemlich laut, aber auch sehr rhythmisch. Ich drehte die Musik noch etwas lauter auf, um wirklich etwas davon zu haben, und kam mir sehr hip vor. Ein bisschen Musik konnte nicht schaden, denn die Aussichten, dass Sarah unerwartet zurückkam, waren gleich null.
Nachdem ich mich flüchtig im Wohnzimmer umgesehen
hatte, nahm ich mir die Küche vor. Sie war klein, kaum größer 151
als zweieinhalb mal drei Meter, und die beiden Seitenwände verschwanden völlig hinter Einbaumöbeln, sodass in der Mitte nur ein zum Fenster führender Gang frei blieb. Kühl- und Gefrierschrank, Elektroherd, Mikrowelle und Spülbecken waren alle eingebaut.
Ich sah in die Hängeschränke über den Arbeitsplatten, um mir eine Vorstellung davon zu verschaffen, wie diese Frau lebte. Das hatte kaum mehr etwas mit meinem Auftrag zu tun, sondern ich war einfach neugierig darauf, eine bisher unbekannte Seite von Sarah zu sehen. In den Schränken standen Tee, Kaffee und einige Gewürze, aber außer Reis und Nudeln kaum Lebensmittel. Das hatte ich nicht anders erwartet. An den wenigen Abenden, an denen sie nicht auf Empfängen repräsentierte oder in Restaurants eingeladen war, begnügte sie sich vermutlich mit Tiefkühlkost aus der Mikrowelle.
Ich öffnete den nächsten Schrank, der von allem ein halbes Dutzend enthielt: jeweils sechs große und kleine Teller, sechs Suppenteller, sechs Tassen mit Untertassen, sechs Gläser –
wieder der Unterkunfts-Set für Diplomaten. Über zwei Drittel dieses Schranks waren leer. Der Kühlschrank enthielt nur eine halb leere Milchtüte, deren Inhalt verdächtig roch, eine ungeöffnete Packung Bagels und ein angebrochenes Glas Erdnussbutter. Nicht gerade eine Feinschmeckerin, unsere Sarah. In meinem Kühlschrank hatte ich wenigstens noch etwas Käse und Jogurt.
Das Bad lag zwischen Küche und Schlafzimmer. Es gab
keine Wanne, nur Dusche, Waschbecken und WC. In dem
kleinen Raum sah es so aus, als sei sie wie gewöhnlich aufgestanden, habe sich rasch zurechtgemacht und sei dann 152
eilig zur Arbeit gefahren. Auf dem Boden lag ein achtlos hingeworfenes Handtuch neben dem Korb für Schmutzwäsche, der Jeans, Unterwäsche und Strumpfhosen enthielt. Ich sah
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