Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
zeigende Hand über dem Busch hing. Essen und Trinken würden meine
Verdauung anregen, aber das oft bewährte Imodium würde hoffentlich auch diesmal zuverlässig wirken.
Ich lag auf dem Bauch, hatte die Kamera schräg links über meinem Kopf, beobachtete das Ziel und hielt dabei den Drahtauslöser in einer Hand. Meine Arme waren verschränkt, und mein Kinn ruhte auf den Unterarmen; das war’s bereits –
ich konnte nicht mehr tun, als zu beobachten und zu horchen.
Natürlich konnte man dabei vor Langeweile fast eingehen, aber ich wusste, dass die Tücke des Schicksals es so einrichten würde, dass Sarah höchstens fünf Sekunden lang sichtbar war, und es wäre verdammt peinlich gewesen, sie dabei zu
verpassen. Ich musste wach bleiben und gegen die Langeweile ankämpfen. Ein Blick auf die Baby-G zeigte mir, dass es erst 5.37 Uhr war.
Ich begann wieder über Sarah nachzudenken. Was hatte sie vor, falls sie tatsächlich hier im Haus war? Ich wusste nicht genau, was gespielt wurde – aber vielleicht wollte ich das zu diesem Zeitpunkt auch gar nicht wissen. Dann erklärte mir eine innere Stimme, das sei natürlich gelogen. In Wirklichkeit brannte ich darauf, es zu erfahren.
Das Haus war jetzt recht gut zu sehen. Es war mit weißen Wasserschlagbrettern verkleidet, die einen neuen Anstrich hätten brauchen können. Jedes der drei Geschosse wies zum See hin drei Fenster auf – einfache zweiflüglige Holzfenster ohne Jalousien oder Fensterläden.
Ich sah auch Halogenscheinwerfer mit Infrarot-Bewegungs-219
meldern, die vermutlich die gesamte Umgebung des Hauses abdeckten. Wären sie nachts eingeschaltet gewesen und hätten meinen Busch erfasst, hätten sie die Nacht strahlend hell erleuchtet.
Im Erdgeschoss führte eine Terrassentür auf eine kleine Veranda mit Seeblick hinaus, die über der Garage ans Haus angebaut war. Darunter standen die beiden Flügel des Garagentors, über denen ich noch einen Scheinwerfer mit IR-Bewegungsmelder erkannte, weiter angelehnt offen.
Das Boot, ein cremeweißer Viersitzer mit dem Führersitz in der Mitte, schien nicht bewegt worden zu sein, seit ich es am Vortag durchs Fernglas begutachtet hatte. Der
Außenbordmotor zeigte weiterhin zum Haus; die Deichsel des Bootsanhängers ruhte am Anfang der zum Wasser
hinunterführenden betonierten Schräge.
Die Garagenwände bestanden aus weißem Gitterwerk, das innen mit Sperrholzplatten, die zwischen den Hausstützen angeschraubt waren, kaschiert war. In die Wand vor mir war die Seitentür eingesetzt, die in die Garage zu führen schien.
Links neben ihr stand eine Wäschespinne, an der jedoch keine Wäsche hing, was angesichts des Wetters nicht verwunderlich war. Hinter keinem der für die Nacht gekippten Fenster des Hauses brannte Licht.
Ich sah nicht einmal Mülltonnen, in denen ich in der kommenden Nacht hätte stöbern können, um festzustellen, ob Sarah hier war. Die Augen der Menschen mögen ein Spiegel ihrer Seele sein, aber ihre Mülltonnen spiegeln verdammt viel anderes wider. Ich hatte schon oft darüber gestaunt, dass sogar intelligente Menschen zu glauben schienen, sobald etwas Weggeworfenes aus dem Haus sei, könne es ihnen nicht mehr 220
gefährlich werden. Reporter machen erstaunliche
Entdeckungen, indem sie die Mülltonnen Prominenter
durchwühlen; in manchen südostasiatischen Staaten wird der Müll aller Hotels mit internationaler Klientel regelmäßig von den Geheimdiensten gesichtet. So unvorsichtig würde Sarah nicht sein, aber ich wusste beispielsweise, dass sie sich möglichst nur von Naturkost ernährte; hätte ich in der Mülltonne entsprechende Abfälle entdeckt, wäre das ein bedeutsamer Hinweis gewesen.
Unterdessen hatten die Vögel längst ihren Morgenchor angestimmt. Eine leichte Brise ließ einige Bäume schwach rauschen, aber das war in Ordnung, weil es etwaige Geräusche aus meinem Versteck tarnte. Das Hauptproblem war, dass auf diesen Wind bestimmt bald Regen folgen würde. Aber so lange der Regen ausblieb, war es in meinem Versteck geradezu idyllisch.
Ungefähr eine Stunde später hörte ich das erste von
Menschen verursachte Geräusch dieses Tages: das leise Tuckern eines kleinen Außenbordmotors. Die Großwildangler waren früh unterwegs, weil sie hofften, einen hungrigen Fisch an die Angel zu bekommen. Ich konnte das Boot nicht sehen, aber es musste irgendwo hinter mir in der Nähe der
Einmündung des Bachs in den See sein.
Das Tuckern hinter mir wurde lauter, dann verstummte es
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