Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
Fahrkartenschalter war geschlossen, aber eine innen an die Scheibe geklebte handschriftliche Notiz teilte mit, um 07.00 geschehe hier etwas, wobei ich auf die Schalteröffnung tippte. Ob im Schalterraum eine Uhr hing, konnte ich nicht sehen, weil der verblichene gelbe Vorhang hinter der Scheibe zugezogen war.
An der Scheibe klebten auch mehrere Zettel mit Bahnhofsnamen in kyrillischer und lateinischer Schrift. Ich entzifferte das Wort Narva und die Zahl 707. Zwischen der Schalteröffnung und der Abfahrt meines
Zuges schienen nur sieben Minuten zu liegen.
Als Nächstes brauchte ich einen Kaffee und die genaue Uhrzeit. Im Bahnhofsgebäude war nichts offen, aber mit etwas Glück gab es draußen irgendwelche Stände für Busreisende. Wo Leute waren, gab es auch Händler.
Ich fand eine Reihe von Aluminiumkiosken, deren Angebot seltsam planlos und unübersichtlich wirkte; in jedem wurde einfach nur Zeug verkauft, von Kaffee bis zu Haarspangen, aber hauptsächlich Alkohol und Zigaretten.
Ich wusste nicht, was mein eingewechseltes Geld wert war, aber es gelang mir, für eine kleine Münze, die vermutlich zwei Pence entsprach, einen Pappbecher Kaffee zu bekommen. Am selben Kiosk spendierte ich mir auch eine neue Armbanduhr in grellem Orangerot, von deren Zifferblatt mich der König der Löwen angrinste; wenn ich den Beleuchtungsknopf drückte. Seine Pranken ruhten auf der Digitalanzeige, die von der Alten, die den Kiosk betrieb, auf 06.15 Uhr korrigiert wurde.
Dann stand ich mit meinem Kaffee zwischen zwei Kiosken und beobachtete, wie die Straßenbahnen Fahrgäste absetzten und aufnahmen. Außer den Leuten, die sich in Warteschlangen anbrüllten, sagte kaum jemand etwas. Diese Menschen waren deprimiert, und das ganze Ambiente des Busbahnhofs schien ihre Stimmung widerzuspiegeln. Sogar der Kaffee schmeckte abscheulich.
Mir fielen Männer auf, die hier und da in kleinen Gruppen zusammenstanden und Flaschen herumgehen ließen. Fünf oder sechs Jugendliche, die über bunten Jogginghosen alte Mäntel trugen, lungerten in einem Buswartehäuschen herum, tranken Bier aus Halbliterflaschen und rauchten dazu.
Auf seltsame Weise erinnerte der Busbahnhof mich an Afrika: Hier war alles, selbst die Plastikkämme und - spielsachen in den Auslagen der Kioske, ausgebleicht und verzogen. Als ob der Westen seinen Schund ins Meer gekippt hätte und er bei diesen Leuten angetrieben worden wäre. Wie in Afrika hatten sie alles mögliche Zeug - Busse, Züge, Fernsehen, sogar Coladosen -, aber nichts funktionierte wirklich richtig. Im Grunde genommen schien das ganze Land »Made in Chad« zu sein. Bei meinem Einsatz im Tschad war der Staatsname ein Synonym für Dinge gewesen, die in Ordnung zu sein schienen, aber nach zehn Minuten auseinander fielen.
Ich dachte wieder über den Überfall auf der Fähre nach. Die Männer auf dem Klo waren bestimmt NSA- Agenten gewesen, aber sie konnten mir nur auf die Spur gekommen sein, indem sie die Buchungen überprüft und dann beschlossen hatten, diesen Kerl namens Davies zu überprüfen. Sobald mein Reisepass aufs Lesegerät gelegt wurde, hatten sie gewusst, dass Davidson an Bord war. Die beiden, die mich überfallen hatten, waren vorerst außer Gefecht - aber würden bald andere hinter mir her sein?
Ich kaufte mir noch einen Kaffee, der mich wärmen würde, einen weiteren Schokoriegel und zwei Dutzend in Folie eingeschweißte Aspirin, um einen klaren Kopf zu bekommen und weniger Schmerzen zu haben. Dann ging ich auf der Suche nach Landkarten von Kiosk zu Kiosk, während ich die ersten vier Tabletten mit miserablem Kaffee hinunterspülte. Ich fand einen Stadtplan von Narva, aber keine Karte von der Nordostecke des Landes. Als ich beim Bezahlen einen Blick auf den König der Löwen warf, sah ich, dass ich mich schon beeilen musste.
Auf dem Weg zum Fahrkartenschalter klopfte ich den gröbsten Dreck von meinen Jeans ab. Da sie durch meine Körperwärme langsam trockneten, stank ich hoffentlich nicht zu sehr. Wer weiß, vielleicht war es hier verboten, Pennern Fahrkarten zu verkaufen?
Ich stand als Erster in einer Schlange aus drei Wartenden, als der schmuddelige gelbe Schaltervorhang zur Seite gezogen wurde und hinter der dicken Scheibe ein Stahlgitter sehen ließ. Vor mir befand sich eine kleine Mulde, durch die Geld und Fahrkarten geschoben wurden. Hinter diesen Befestigungsanlagen funkelte mich eine Mittfünfzigerin an. Sie trug eine Strickjacke und natürlich eine Wollmütze. Wahrscheinlich standen
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