Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
ihre Füße auf einer vollgestopften Tragetasche.
Ich lächelte. »Narva, Narva?«
»Narva.«
»Ja. Wie viel?« Ich rieb Daumen und Zeigefinger aneinander.
Sie griff nach einem kleinen Quittungsblock und schrieb Narva und 707 darauf. Das bedeutete offenbar, dass die Fahrt 707 Hertigrats - oder wie das hiesige Geld sonst hieß - kostete, nicht jedoch, dass der Zug um 7.07 Uhr abfuhr.
Ich gab ihr einen Tausender. Mit 20 US-Dollar kam man in diesem Land weit. Sie verließ ihren Platz am Schalter, wühlte in einer Schublade herum, kam zurück und ließ mein Rückgeld und einen hauchdünnen Fetzen Papier in die Mulde gleiten. Ich griff nach dem Zettel, weil ich ihn für eine Art Quittung hielt. »Narva - Ticket?«
Sie murmelte eine unfreundliche Antwort. Völlig zwecklos; ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete. Nach dem Bahnsteig fragte ich gar nicht erst. Ich würde ihn schon finden.
Auf dem Bahnhof Tallinn schienen alle Linien zusammenzulaufen. Er war jedoch nicht mit den Londoner Bahnhöfen St. Paneras oder Victoria Station zu vergleichen. Die asphaltierten Bahnsteige vor der Bahnhofshalle waren mit Eisplatten und Schlaglöchern übersät. An manchen Stellen war freiliegender Stahlbeton zerbröckelt und ließ rostige Bewehrungseisen sehen. Die Dieselloks waren alte russische Ungetüme mit einem mächtigen Zyklopenauge als Scheinwerfer; sie schienen alle blau zu sein, aber unter dem vielen Dreck war das schwer zu erkennen. Vorn an jeder Lokomotive hing eine beschriftete Holztafel als Fahrtrichtungsanzeiger; weitere Informationen gab es nicht.
Ich lief auf und ab, schlängelte mich durchs Gedränge und hielt Ausschau nach dem Wort Narva. Schließlich fand ich den richtigen Zug, brauchte aber noch eine Bestätigung von einem meiner Freunde mit den Tragetaschen.
»Narva, Narva?«
Der Alte starrte mich an, als sei ich ein Außerirdischer, und murmelte etwas, ohne seine Zigarette aus dem Mundwinkel zu nehmen, so dass die Glut auf und ab tanzte. Dann ging er einfach weiter. Aber er nickte wenigstens noch, als ich fragend auf den Zug deutete.
Ich ging den Bahnsteig entlang und suchte einen leeren Wagen, den es natürlich nicht gab. Also stieg ich trotzdem ein und ließ mich in der ersten freien Drei ersitzreihe nieder, die ich fand. Der Waggonboden bestand nur aus nackten zusammengeschweißten Stahlplatten, und die tiefen Sitze aus Stahlblech wiesen lediglich zwei kleine, dünne Vinylpolster auf: eines für den Rücken, eines für den Hintern. In der Wagendecke brannten ein paar Vierzigwattbirnen, und damit mussten wir zufrieden sein. Alles sehr schlicht, alles sehr funktional, aber erstaunlich sauber im Vergleich zu dem Chaos, das im Bahnhofsgebäude herrschte. Und der Waggon war zumindest warm.
30
Die Räder ratterten rhythmisch über die Gleise, während ich in die Dunkelheit hinausstarrte. Von der Landschaft war nichts zu erkennen; ich sah nur Lichter von Gebäuden, die ich für Fabriken hielt, und von endlosen Reihen gefängnisartiger Wohnblocks.
Ich saß an der Schiebetür ganz vorn im Waggon an einem Fenster und hatte zum Glück eine
Heizungsöffnung direkt unter meinem Sitz. Wie ich aus dem Reiseführer wusste, würde ich hier mindestens fünf Stunden sitzen, was für meine Jeans erfreulich war. Hinter mir im Waggon waren etwa ein Dutzend Mitreisende verteilt, ausschließlich Männer, die meisten mit Tragetaschen, alle mit geschlossenen Augen tief in Gedanken versunken oder sie machten einfach ein Nickerchen.
Die Schiebetür flog krachend auf, und eine Mitvierzigerin, die einen viel zu großen grauen Männermantel trug, kam herein. Über ihrem linken Arm waren ein Dutzend Exemplare einer Boulevardzeitung drapiert. Sie blieb vor mir stehen, sprach mich an und schien mich etwas zu fragen. Ich winkte mit einer höflichen Handbewegung dankend ab, aber sie ließ nicht locker und wurde dabei sehr aufgeregt. Als ich erneut abwinkte und mit meinem freundlichen australischen Lächeln den Kopf schüttelte, griff sie in ihren Mantel und zog den gleichen Quittungsblock heraus, den Mrs. Griesgram am Fahrkartenschalter benutzt hatte. Nun wurde mir klar, dass sie die Schaffnerin war, die nebenbei auch Zeitungen verkaufte. Wie ich nutzte sie jede sich bietende Verdienstmöglichkeit.
Ich angelte meinen Fetzen Papier aus der Tasche. Sie kontrollierte ihn, grunzte etwas, gab ihn mir zurück und ging mit dem Schlingern des Waggons schwankend zum nächsten Fahrgast weiter, dem sie bestimmt erzählte, der Dorftrottel sei
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