Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
schnell aus dieser beschissenen Umgebung rauszukommen.
Obwohl es erst halb zwei war, hätte die Stadt schon etwas Straßenbeleuchtung brauchen können. Leider gab es hier nicht allzu viele Lampen, die man hätte
einschalten können.
Gut 100 Meter weiter begann das Bild sich zu beleben, als ich an einem riesigen Parkplatz voller Autos und Busse vorbeikam. Leute, die mit allem von Tragetaschen bis zu Koffern beladen waren, verständigten sich schreiend, um den Motorenlärm und das Zischen von Druckluftbremsen zu übertönen. Das Ganze erinnerte an einen Fernsehbericht über Flüchtlinge, die einen Kontrollpunkt passierten. Je näher ich herankam, desto mehr verstärkte sich mein Eindruck, hier könnte Han Solo auf der Suche nach einem Ersatzteil für sein Raumschiff fündig werden. Hier liefen einige höchst merkwürdige Gestalten herum.
Ich erkannte, dass dies der Grenzübergang war: die Straßenbrücke nach Russland hinein oder aus dem Nachbarland heraus. Harry Palmer wäre hier Stammgast gewesen.
Der Parkplatz stand voller neuer Audis, alter BMWs und Ladas aller Modelle, Farben und Baujahre. Auffällig waren die vielen Ford Sierras, die merkwürdig deplaciert wirkten. Sie bildeten ganze Flotten. Jetzt wusste ich endlich, wo all die gebrauchten Sierras blieben, die nicht von Minitaxi-Fahrern aufgekauft wurden.
Geldwechsler betrieben ihr Geschäft an den Rändern des Parkplatzes, und Kioske verkauften allen möglichen Schund, so schnell die Republik Tschad ihn herstellen konnte. Ich ging zu einem grün gestrichenen Gartenhäuschen mit einem kleinen Schiebefenster hinüber und musste dabei Kühllastern ausweichen, die nach der Zollabfertigung an mir vorbeidonnerten. Wer
nicht rechtzeitig zur Seite sprang, hatte eben Pech.
Camels, Marlboros und Dutzende von russischen Zigarettenmarken waren mit unzähligen Feuerzeugen in allen nur denkbaren Ausführungen innen ans Fenster geklebt. Ein alter Knabe, der mit seinem dunklen Teint und dichten grauen Locken wie ein Zigeuner aussah, zeigte mir seine Liste mit Wechselkursen. Anscheinend gab es ungefähr 12 EEKs, was immer die sein mochten, für einen US-Dollar. Ob der Kurs gut oder schlecht war, wusste ich nicht, aber ich sah, dass die im Fenster ausgestellten Duracell-Batterien nur ein paar EEKs kosten sollten, so dass sie entweder der Gelegenheitskauf des Jahrhunderts oder uralt und längst entladen waren. Damit niemand sah, wie viel Geld ich hatte, setzte ich mich auf die Mülltonne hinter dem Kiosk, holte einen warmen Hunderter aus meiner Socke und zog den Stiefel hastig wieder an.
Nachdem der Alte den Hunderter mit allen möglichen Methoden untersucht und sogar daran gerochen hatte, um sich zu vergewissern, dass er nicht gefälscht war, war er mit seiner harten Währung ebenso zufrieden wie ich mit meinem Packen EEKs. Ich ließ das Flüchtlingslager hinter mir und ging auf der Puskinistraße zu einem Verkehrskreisel weiter, von dem nach dem Stadtplan in meinem Kopf die Straße abzweigte, in die ich wollte.
Die einzigen Gebäude, die halbwegs einladend wirkten, sah ich in der Nähe des Verkehrskreisels. Blinkende Leuchtreklamen verkündeten, dies seien »Komfort Baars«. Aus ihren Außenlautsprechern plärrte Musik. Früher waren sie vermutlich gewöhnliche Bars
oder Läden gewesen, aber jetzt waren ihre Fenster mit einer undurchsichtigen Farbschicht bedeckt. Man brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was dahinter geboten wurde, aber für Leute, die vielleicht noch im Zweifel waren, gab es Frauenbilder und Texte in kyrillischer Schrift, die bestimmt genau erläuterten, was unter »Komfort« zu verstehen war. Das beste Bild befand sich auf einer blau zugemalten Scheibe: die
Freiheitsstatue mit Marilyn Monroes Zügen, die ihren Rock raffte und ein Pik-Ass zwischen ihren Schenkeln sehen ließ. Darunter stand auf Englisch: America. Fuck it here. Ich wusste nicht recht, was das heißen sollte, aber die Russen, deren Sattelschlepper überall entlang der Straße geparkt standen, hatten offenbar keine Schwierigkeiten, die Speisekarte zu lesen.
Ich hatte gerade an dem Verkehrskreisel Halt gemacht, um nachzusehen, auf welcher Straße ich weitergehen wollte, als zwei weiße Suzuki Vitaras, die ihre roten und blauen Blinkleuchten eingeschaltet hatten, mit kreischenden Reifen vor Marilyn’s hielten.
Aus jedem Wagen sprangen drei Kerle, die genau wie das SWAT-Team auf dem Bahnhof Tallinn uniformiert waren - nur mit anderen Abzeichen. Auch ihres war auf den
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