Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
unbeholfenen Versuche, sie etwas aufzuheitern. Dazu gehörte auch, dass ich das Zelt in ihrem Zimmer aufstellte, um mit ihr Camping zu spielen. In dieser Nacht schreckte sie aus einem grässlichen Alptraum auf. Sie schrie die ganze Nacht lang. Ich versuchte sie zu beruhigen, aber sie schlug blindlings um sich, als erkenne sie mich gar nicht. Am nächsten Morgen telefonierte ich herum und erfuhr, dass der National Heath Service mir frühestens in sechs Monaten einen Termin bei einem Psychiater geben, konnte. Ich telefonierte weiter und brachte Kelly nachmittags nach London zu Dr. Hughes, einer auf Kindertraumata spezialisierten Psychiaterin, die Privatpatienten annahm.
Kelly wurde sofort zur Beobachtung in die Klinik aufgenommen, und ich musste sie dort zurücklassen, um in St. Petersburg das Umfeld der Zielperson aufzuklären und in Moskau Sergej anzuwerben. Ich redete mir ein, alles werde bald wieder in Ordnung kommen, aber tief in meinem Innersten wusste ich, dass Kellys Zustand sich nicht schnell bessern würde. Meine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich, als die Ärztin mir erklärte, sie müsse nicht nur regelmäßig als ambulante
Patientin in die Klinik kommen, sondern brauche die Art ständiger Betreuung, die nur die Pflegeeinrichtung in Hampstead garantieren könne.
Dort hatte ich sie bisher insgesamt viermal besucht. Wir saßen meistens den ganzen Nachmittag gemeinsam vor dem Fernseher. Ich hätte sie gern in den Arm genommen, aber darauf verstand ich mich nicht. Alle meine Versuche, ihr Zuneigung zu zeigen, kamen mir so künstlich und unbeholfen vor, dass ich mich zuletzt mit dem Eindruck verabschiedete, noch verwirrter als Kelly zu sein.
Ich bog rechts in den Hyde Park ab. Dort bewegten Trupps der Blues und Royals ihre Pferde, bevor sie von Touristen begafft vor irgendwelchen Gebäuden Posten bezogen, um dort im Sattel Wache zu halten. Ich kam an dem Gedenkstein für die Männer vorbei, die 1982 von der PIRA in die Luft gejagt worden waren, während sie ihrerseits Sprengstoffanschläge geplant hatten.
Ich wusste ungefähr, worauf Kellys Zustand zurückzuführen war, aber eben nur ungefähr. Ich hatte Männer gekannt, die an einem posttraumatischen StressSyndrom gelitten hatten, aber das waren große Jungs gewesen, die aus dem Krieg kamen. Ich wollte mehr über seine Auswirkung auf Kinder wissen. Dr. Hughes erklärte mir, dass ein Kind nach dem Verlust eines geliebten Menschen Trauer empfinde, sei ganz natürlich, aber nach einem traumatischen Erlebnis könnten diese Gefühle nach Wochen, Monaten oder sogar Jahren zurückkehren. Die Symptome dieser verzögerten Reaktion waren ähnlich wie bei Depressionen und
Angstneurosen: Gefühle von Hilflosigkeit,
Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, während das traumatische Erlebnis in Alpträumen wiederkehrte. Das klang nur allzu wahr; ich konnte mich kaum noch daran erinnern, wann ich Kelly zuletzt lächeln oder gar lachen gesehen hatte.
»Die Symptome sind von Fall zu Fall verschieden«, sagte Dr. Hughes, »aber sie können jahrelang anhalten, wenn sie nicht behandelt werden. Jedenfalls verschwinden sie nicht einfach von selbst.«
Mir wurde fast schlecht, wenn ich daran dachte, dass Kelly sich vielleicht schon auf dem Weg der Besserung befinden könnte, wenn ich nur früher gehandelt hätte. So mussten sich echte Väter fühlen, und für mich war es vermutlich das erste Mal in meinem Leben, dass ich solche Gefühle empfand.
Die Straße durch den Park endete, und ich kam wieder auf eine der Hauptverkehrsstraßen. Dort stand der Verkehr praktisch. Lieferwagen hielten genau vor den Geschäften, die sie zu beliefern hatten, und schalteten ihre Warnblinkanlage ein. Motorradkuriere nutzten jede Lücke zwischen den Autos aus und riskierten dabei mehr, als ich mir zugetraut hätte. Ich schlängelte mich langsam durch den stockenden Verkehr und kam allmählich in Richtung Chelsea voran.
Auf den Gehsteigen herrschte ebenso dichter Verkehr. Leute mit Tragetaschen kollidierten miteinander und verursachten Staus vor den Eingängen von Geschäften. Und als ob das alles nicht schlimm genug gewesen wäre, hatte ich keinen blassen Schimmer, was ich Kelly zu
Weihnachten schenken sollte. Ich kam an einem Telefonladen vorbei und überlegte, ob ich ihr ein Handy schenken sollte - aber wozu, wenn ich nicht mal von Angesicht zu Angesicht mit ihr reden konnte? Ein Jeansladen brachte mich auf die Idee, ihr ein paar neue Klamotten zu schenken, aber dann würde sie
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