Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
jeder neuen Taste, die er anschlug.
»Kannst du mit diesem Zeug was anfangen?«
»Kein Problem; hier geht’s um Algorithmen, Protokolle und gesicherte Proxyserver, solches Zeug. Die Sache läuft darauf hinaus, dass ich aus ungefähr einer Million Zeichensätze die richtige Zugangssequenz finden muss. Das ist der Firewall zwischen mir und dem Rest des Systems.« Er deutete auf den Bildschirm, den er keine Sekunde lang aus den Augen gelassen hatte. »Das ist ein ziemlich hoch entwickeltes Verschlüsselungssystem mit einem Lernprogramm, das ungewöhnliche Ereignisse entdeckt - zum Beispiel, dass ich mir Zugang zu verschaffen versuche - und sie als Angriff interpretiert. Wollte ich vor Ort dort eindringen, würde die Zeit nie reichen. Aber diese Methode ist ideal: Ich habe genug Zeit und kann herumspielen.«
Irgendetwas lenkte ihn von der Unterhaltung mit mir ab, als er sich jetzt nach vorn beugte und den Bildschirm studierte. Wir schwiegen beide einige Sekunden lang, während er Unverständliches vor sich hin murmelte, bevor er wieder in die Realität zurückkehrte. »Okay, sobald ich mich dort reingehackt habe, brauche ich nur noch dieses ThinkPad zu konfigurieren und mitzunehmen. Dann kann ich alles runterladen, was sie will. Ein Kinderspiel.«
Ich beobachtete ihn bei der Arbeit. Er hatte sich in den Herrn seines Universums verwandelt, dessen Hände sich rasch, zielbewusst und gebieterisch über die Tastatur bewegten. Sogar sein Tonfall hatte sich verändert, als er mir auseinander setzte, was er vorhatte.
»Tom, glaubst du, dass du’s schaffst, diesen Firewall zu durchbrechen?« Der Bildschirm mit seinen wechselnden Zahlen, Buchstaben und Symbolen erschien mir völlig chaotisch.
»Kein Drama, Kumpel. Kein Drama.«
Ich sah zu dem Loch in der Wandverkleidung hinüber. »Noch eine letzte Frage.«
Sein Blick blieb auf den Bildschirm gerichtet. »Ja?«
Aber ich hatte mir die Sache anders überlegt. »Ich gehe einen Kaffee trinken. Kommst du mit?«
»Nö, Kumpel, ich bleibe lieber hier. Ich hab zu tun, verstehst du?«
Ich ließ ihn an seinem Computer sitzen. Mich interessierte, weshalb die Wände mit Bleifolie verkleidet waren, und Tom hätte vielleicht eine Erklärung dafür gewusst, aber wozu sollte ich riskieren, dass er in Panik geriet? Je weniger er wusste, desto besser.
16
Nachdem es mir nicht gelungen war, in meinem Zimmer einen Telefonanschluss zu finden, betrat ich den Wohnbereich. Hier brannte noch Licht, aber der Raum war leer, und das Kaffeegeschirr war abgetragen worden. Auf dem Glastisch lag nur ein dickes kartoniertes Buch. Ich machte einen langsamen Rundgang und hielt dabei Ausschau nach Telefonsteckdosen, konnte aber keine entdecken. Auch in der Küche waren keine zu finden.
Da ich in den Gipskartonplatten der Wandverkleidung kein weiteres Loch sah, hinter dem ich nach Bleifolie hätte suchen können, entschied ich mich für eine andere Methode. Ich ging zu den wandhohen Jalousien hinüber und stieß eine der weißen Lamellen an. Sie bewegte sich nicht und war sehr hart und schwer.
In die Wand neben der Jalousie war ein Schalter eingelassen, und man brauchte kein Genie zu sein, um zu erraten, wozu er diente. Als ich ihn betätigte, begann über mir in der Decke ein Motor zu summen. Ich beobachtete, wie die Jalousie sich von der Mitte aus zu öffnen begann. Draußen war es dunkel, aber das aus dem Wohnbereich fallende Licht zeigte mir hinter den Schiebetüren mit Dreifachverglasung einen langen schmalen Balkon. Jungfräulicher Schnee, der einen Meter hoch lag, war vom Wind bis ans Glas geweht worden. Etwas weiter draußen waren die Wipfel einiger verschneiter Kiefern sichtbar, aber dahinter lag nur pechschwarze Dunkelheit.
Ich drehte mich um, als ich hinter mir nackte Füße herankommen hörte. Liv, die nur noch sechs oder sieben Schritte von mir entfernt war, trug einen seidenen blauen Morgenmantel, der ihr nur knapp bis zu den Knien reichte und bei jedem Schritt einen ihrer Oberschenkel sehen ließ.
Noch zwei rasche Schritte, dann griff sie an mir vorbei und betätigte den Schalter für den Elektroantrieb der Jalousie. Sie roch, als käme sie gerade aus der Dusche.
Der Motor surrte, und die Jalousie begann sich wieder zu schließen. Liv trat einen Schritt zurück. »Nick, die Jalousien müssen immer geschlossen sein, wenn Tom an dem Computer arbeitet.« Sie deutete zu den Sofas hinüber. »Wollen wir uns nicht setzen?«
Ich folgte Liv, als sie den Raum durchquerte. Sie beobachtete
Weitere Kostenlose Bücher