Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
Wald weiter. Die auf beiden Straßenseiten aufragenden hohen Bäume begrenzten die Scheinwerferkegel, als führe ich durch einen Tunnel. Dann war ich plötzlich aus ihm heraus, holperte über eine hölzerne Brücke und sah im Scheinwerferlicht unter mir das weiß verschneite Eis eines zugefrorenen Sees. Eine halbe Minute später nahm der Tunnel mich wieder auf, und ich sah nur gelegentlich einen Briefkasten, der mir bewies, dass ich hier draußen nicht der einzige Mensch war.
Als vor mir ein gelbes Dreieckszeichen mit der Silhouette eines Elchs auftauchte, wusste ich, dass ich nun wirklich auf dem Land war. Ich hielt an einer Kreuzung, um erneut einen Blick auf die Karte zu werfen. Noch acht Kilometer, dann die dritte Straße rechts.
Ich fuhr weiter, behielt dabei den Tageskilometerzähler im Auge, überquerte zwei weitere Brücken und kam nur an einer Hand voll Briefkästen vorbei, bis ich die Abzweigung erreichte, die ich suchte. Das Reifengeräusch änderte sich, als ich auf die Makadamstraße abbog. Wie die Zufahrt zu Livs Haus war sie vereist, aber von Schnee geräumt und mit Split bestreut.
Da ich noch einige Kilometer zu fahren hatte, wollte ich sichergehen, dass ich gleich beim ersten Versuch die richtige Zufahrt erwischte. Es wäre keine gute Idee gewesen, mit Fernlicht und aufheulendem Motor die Straße hinauf und hinunter zu fahren. Auf der Karte waren in diesem Gebiet verstreut liegende einzelne Häuser eingezeichnet, und ich kam in Abständen von etwa einem Kilometer an Briefkästen vorbei. Trotzdem war nirgends Licht zu sehen, als ich langsam weiterfuhr und jeden in den Wald hineinführenden Weg mit meiner Karte verglich.
Als ich die richtige Zufahrt gefunden hatte, fuhr ich zunächst daran vorbei, um entlang der Straße eine Stelle zu suchen, an der ich den Saab so abstellen konnte, dass er nicht verlassen, sondern ordnungsgemäß geparkt wirkte. Ungefähr 300 Meter weiter fand ich eine Ausweichstelle für Holzlaster. Dort parkte ich und stellte den Motor ab.
Draußen war es kälter als in einer Tiefkühltruhe. Ich zog die im Kaufhaus Stockmann gekauften Handschuhe mit Nylonfutter an, setzte meine schwarze Wollmütze auf, stieg aus und drückte auf den Schlüsselanhänger. Als die Infrarot-Zentralverriegelung ansprach, leuchtete die Warnblinkanlage zweimal kurz auf, aber das ließ sich nicht ändern.
Bevor ich auf der Makadamstraße zurückging, vergewisserte ich mich, dass die Wollmütze nicht etwa meine Ohren verdeckte; ich befand mich auf einem Erkundungsvorstoß und musste hören können, ohne dass Geräusche durch eine dicke Schicht Wolle gedämpft wurden.
Nach der behaglichen Wärme in dem Saab war es im Freien bitterkalt. Um mich herum war es Nacht. Ich hörte nur meine eigenen Atemzüge und das Knirschen des einige Zentimeter hohen Neuschnees unter meinen Stiefeln. Meine Welt bestand nur aus Bäumen, Schnee und eiskalter Nase und Ohren.
Als ich die Zufahrt erreichte, blieb ich stehen, um zu beobachten und zu horchen. Nichts. Meine Augen würden noch ungefähr eine Viertelstunde brauchen, um sich an die hiesigen Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Mit etwas Glück würde ich dann etwas mehr vom Wald erkennen als eine kaum gegliederte schwarze Mauer.
Ich setzte mich wieder in Bewegung und folgte langsam der Zufahrt. Sie war offenbar von vielen Autos benutzt worden, denn in den Fahrspuren auf beiden Seiten des leicht erhöhten Mittelstücks lag statt Schnee nur festgefahrenes Eis. Auf beiden Seiten der Zufahrt drängte sich der Wald bis dicht an die Fahrbahn heran.
Vorläufig konnte ich kaum zwei Meter weit sehen, aber ich wusste, dass sich das ändern würde, wenn meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Um möglichst keine Spuren zu hinterlassen, balancierte ich wie ein Seiltänzer die linke Fahrspur entlang. Ich durfte auf keinen Fall ausrutschen, in den Schneewechten am
Fahrbahnrand landen und so Spuren hinterlassen, die jedem Fünfjährigen aufgefallen wären.
Nach etwa fünf Minuten begann ich vor mir, wo das Zielobjekt liegen musste, einen schwachen, diffusen Lichtschein wahrzunehmen. Daraus wurden Lichtstrahlen, die über den Nachthimmel tanzten oder auf mich gerichtet waren, für kurze Zeit ganz verschwanden und dann wieder ruckelnd in meine Richtung leuchteten. Ich wusste genau, was sie waren: Autoscheinwerfer, die auf mich zukamen.
Da ich noch nicht einmal den Motor hörte, konnte ich unmöglich bereits gesehen werden. Die Scheinwerfer kamen unaufhaltsam näher.
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