Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
Ausscheidungsvorgang unter Kontrolle zu halten, um meine Versicherungspolice zu erwischen, die ich in zwei Kondome gesteckt und mit Hilfe von etwas Hotelseife 462
aus Helsinki in meinen Hintern geschoben hatte.
Auch das gehörte zu den Dingen, die ich im
Erziehungsheim gelernt hatte. Es war die beste Methode, um sicherzustellen, dass mir die 15 Pence, die ich wöchentlich als Taschengeld bekam, nicht gestohlen wurden. Frischhaltefolie hatte allerdings nicht so gut funktioniert wie diese Kondome.
Nachdem ich das äußere Kondom aufgeknotet, das
innere herausgezogen und mir die Hände gewaschen
hatte – auf diesen Toiletten gab es sogar Seife und Wasser –, war alles wieder sauber und wohlriechend. Ich war noch immer von der estnischen Eisenbahn begeistert, als ich mich plötzlich auf die Strecke Kings Lynn-London zurückversetzt fühlte: Die WC-Spülung
funktionierte nicht.
Ich blieb noch etwas länger, um mich zu waschen. Als ich wieder auf meinem Platz war, wurde es Zeit, den Stadtplan von Narva zu studieren und festzustellen, wo genau Konstantin zu finden sein würde. Meine neue Armbanduhr zeigte mir, dass die Zugfahrt noch etwa eine Stunde dauern würde.
Ich schluckte weitere vier Aspirin ohne Wasser und sah wieder aus dem Fenster. Kein Wunder, dass die meisten Leute ausgestiegen waren, bevor wir dieses Gebiet erreichten. Hier begann offenbar der große industrialisierte Nordosten, den die Sowjets unter ihrer Herrschaft geschaffen hatten. Verschwunden waren die Wälder und die endlos weiten Schneeflächen; stattdessen waren nur noch Abraumhalden mit gewaltigen
Förderbändern und dazwischen Fabriken mit qualmenden 463
Schloten zu sehen.
Der Zug ratterte an trostlosen Wohnblöcken mit
Fernsehantennen an allen Fenstern und einzelnen
altmodischen riesigen Satellitenschüsseln vorbei. Hier gab es weder Gärten noch Spielplätze, nur ein paar Altautos, die ohne Räder auf Hohlblocksteinen standen.
Sogar der Schnee war grau.
Die Szenerie veränderte sich nicht wesentlich, als der Zug häufiger anhielt, außer dass nun jeder
Quadratzentimeter Land auf beiden Seiten der Gleise für winzige Gemüsebeete genutzt wurde. Selbst die Flächen unter Hochspannungsmasten waren durch
zusammengestückelte Plastikfolien in behelfsmäßige Treibhäuser verwandelt worden. Als ich schon glaubte, deprimierender könnte die Aussicht nicht werden,
rumpelte der Zug an drei Autowracks vorbei, die dicht hintereinander am Straßenrand standen. Sie waren von Einschüssen durchsiebt und ausgebrannt. Ihre
geschwärzten Überreste waren schnee- und eisfrei und mit zersplittertem Glas übersät. Sie schienen erst vor kurzem zerschossen und angezündet worden zu sein.
Vielleicht enthielten sie sogar noch Leichen. Ein paar Jugendliche gingen an ihnen vorbei, ohne sie eines zweiten Blickes zu würdigen.
Der Zug hielt ratternd und mit laut kreischenden
Bremsen. Wir schienen auf einem Güterbahnhof zu sein.
Auf beiden Seiten standen Kessel- und Güterwaggons, alle russisch beschriftet und dick mit Öl und Eis bedeckt.
Ich befand mich wieder in einer Szene aus einem Harry-Palmer-Film, nur hätte Michael Caine statt Daunenjacke 464
und schmuddeligen Jeans unter seinem Trenchcoat einen Anzug getragen. Der Güterbahnhof schien unsere
Endstation zu sein. Die vielen Türen, die entlang des Zuges geöffnet wurden, deuteten darauf hin, dass es Zeit zum Aussteigen wurde. Willkommen in Narva.
Ein Blick aus dem Fenster zeigte mir Leute, die mit ihren Tragetaschen auf die Gleise hinuntersprangen.
Auch mein einziger Mitreisender war inzwischen zum Ausgang unterwegs. Ich stieg ebenfalls aus, stapfte im Schnee über den großen Rangierbahnhof und folgte den anderen zu einem alten Steingebäude. Vermutlich war es erst nach 1944 errichtet worden, denn ich hatte gelesen, dass die Russen bei der »Befreiung« Estlands von den Deutschen die gesamte Stadt zerstört und völlig neu aufgebaut hatten.
Durch eine grau gestrichene zweiflüglige Metalltür gelangte ich in den nur ungefähr sechs mal zehn Meter großen Schalterraum, an dessen Wänden ein paar alte Plastikstühle mit geraden Rückenlehnen standen. Die Wände waren mit derselben dicken grauen Farbe wie die Türen gestrichen und über und über mit eingekratzten Graffiti bedeckt. Ich glaubte, der Fußboden bestehe einfach nur aus unebenem Beton, bis ich die beiden Fliesen entdeckte, die so hartnäckig hafteten, dass niemand sie hatte klauen können.
Der Fahrkartenschalter war
Weitere Kostenlose Bücher