Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
Knattern der Rotorblätter lauter und das Licht heller wurde. Vor diesem gleißend hellen Scheinwerferstrahl konnte man sich nicht verstecken, sobald er einen erfasst hatte. Tat er das, würde ich die 500000 Dollar in den Wind schreiben und zu Fuß flüchten. Meine Fluchtroute stand bereits fest: geradewegs über den Zaun und ins Labyrinth aus Apartmentgebäuden dahinter.
Ich saß da und wartete; sonst konnte ich nichts tun.
Der Volvo und der Lieferwagen wurden voll erfasst, und ich kam mir wie in einer Szene von Close Encounters vor, als beide Fahrzeuge mit Licht überflutet wurden.
Aber Sekunden später veränderte das
Triebwerksgeräusch sich erneut, als der Hubschrauber in Richtung Hauptstraße abdrehte. Der Parkplatz lag wieder im Dunkeln.
57
Ich fuhr den Lieferwagen in eine Parklücke, kam
zurück und öffnete den Kofferraum, um nach Val zu sehen. Er atmete schwer. Ich beobachtete ihn und
wartete. Vielleicht hatte er Probleme mit den Stirnhöhlen, einen Schnupfen, eine Grippe. Ich wollte nicht, dass er unterwegs erstickte; ich wurde nur für Lebendvieh bezahlt. Er schnaubte laut durch die Nase, um freier atmen zu können.
Ein Scheinwerferpaar schwenkte über mich hinweg,
aber ich hatte keine Autotür ins Schloss fallen gehört. Ich beugte mich über Val und tat so, als sortierte ich meine Einkäufe im Kofferraum. Dabei kamen unsere Gesichter sich so nahe, dass ich seinen Atem auf meiner Backe spürte. Und ich nahm erstmals bewusst seinen Geruch wahr. Nach meinen Erfahrungen mit Alptraum und
Zimmermann erwartete ich eine Mischung aus starken Zigaretten, billigem Fusel und Achselschweiß. Aber ich roch nur Klebeband mit einem Hauch von Rasierwasser.
Das Problem war verschwunden. Ob der Fahrer seinen Wagen geparkt oder den Parkplatz wieder verlassen hatte, war mir scheißegal. Ich richtete mich langsam auf, sah mich um und rammte ihm dann die Pistole in den Nacken. Mit der anderen Hand packte ich seine Schulter und zerrte daran.
Val begriff, was ich von ihm wollte. Er sollte sich auf den Bauch legen. Die Limousine schwankte leicht, als er sich strampelnd umdrehte, aber das spielte keine Rolle, denn hier sah uns niemand.
Sobald er auf dem Bauch lag, griff ich nach einem Kabelbinder, wickelte ihn kreuzweise um seine
58
Handgelenke und zog ihn fest.
Dann packte ich ihn in die zweite Daunendecke, wobei ich darauf achtete, dass er genug Platz zum Atmen hatte.
Der Motor des Volvos sprang sofort an. An der
Ausfahrt bog ich links auf die Hauptstraße ab, um vom Hotel wegzukommen. Ich konnte nur hoffen, dass Sergej das ebenfalls getan hatte.
Ich verließ Helsinki auf der Ausfallstraße in Richtung Autobahn. Unser Treffpunkt war Vaalimaa, ungefähr 180
Kilometer entfernt.
Ich schaltete das Radio ein und drehte es ziemlich laut, um den Lärm des Heizungsgebläses zu übertönen. Ich fuhr mechanisch und dachte über alles und nichts nach.
Unterwegs sah ich zweimal die blinkenden Lichter eines Hubschraubers.
Nachdem ich eine ganze Zeit lang gefahren war, kam endlich der Autohof Vaalimaa in Sicht. Er war ein Truckerparadies, der letzte Haltepunkt vor der russischen Grenze. Fernfahrer trafen sich hier, damit sie im Konvoi weiterfahren konnten. Überfälle auf allein fahrende Lastzüge waren in Russland an der Tagesordnung.
Irgendwo zwischen den vielen Lastwagen stand unser Fahrzeug mit dem Doppelboden, in dem Sergej uns nach Russland schmuggeln würde.
Vaalimaa war nur ein paar Kilometer von dem
Grenzübergang entfernt, dessen Personal Sergej in der Tasche hatte. Zehn Kilometer nördlich der Stadt lag unser Haus am See.
Ich stellte das Autoradio ab, griff ins Handschuhfach 59
und holte den digitalen Scanner heraus, den Sergej auf die Polizeifrequenz eingestellt hatte. Das Gerät war ungefähr so groß wie ein Handy. Wir hatten es
einschalten wollen, sobald wir Helsinki verließen. Das war ein weiterer Grund, weshalb ich Sergej brauchte: Er sprach finnisch.
Ich versuchte mitzubekommen, was die von starkem
Rauschen überlagerten blechernen Stimmen sagten, aber ich verstand natürlich kein Wort. Ich hoffte nur, niemand werde »Volvo! Volvo!« rufen, denn das hätte ziemlich sicher bedeutet, dass ich eine einfache Fahrt ins Chaos gelöst hatte.
Ich kontrollierte jede Haltebucht und alle unbefestigten Nebenstraßen auf irgendwelche Anzeichen verdächtiger Aktivität. Aber davon war nichts zu sehen.
Im Scheinwerferlicht tauchte das Sichtzeichen auf, nach dem ich Ausschau hielt: der Briefkasten Nr.
Weitere Kostenlose Bücher