Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
falls ich aktiv werden musste, wollte ich bestimmt keinen Anzug und Schnürschuhe tragen. Ich stellte meine Reisetasche auf den Tisch und holte Jeans, Timberland-Stiefel, ein T-Shirt, ein Sweatshirt und eine grüne Vliesjacke von Helly Hansen heraus.
Der Tschetschene beobachtete mich scharf, während er seinen Kaffee trank und ich mich umzog. Ich hatte den Eindruck, er freue sich heimlich darüber, dass ich den Funkverkehr aus dem Scanner nicht verstand.
Als ich meine Pistole vorn in den Hosenbund meiner Jeans steckte, fühlte ich mich gleich wieder viel wohler.
Ich trank meinen Kaffee aus. Valentin hatte seinen 66
Becher geleert und vor seine Füße auf den Boden gestellt.
Ich ging mit dem Kaffeebereiter und einer Packung Knäckebrot zu ihm hinüber. Er nickte dankend, als ich uns beiden Kaffee nachschenkte.
Danach saß ich wieder am Tisch und aß die letzten Bananen, die Reggie und Ronnie zurückgelassen hatten.
Der Scanner knackte und rauschte weiter, und in den Pausen zwischen kurzen Meldungen war nur zu hören, wie Val sein Knäckebrot knabberte.
Ich konnte nicht aufhören, an Sergej zu denken. Was war, wenn er nicht aufkreuzte? Darüber war ich mir noch nicht im Klaren. Ich hatte ihn nicht einmal an der Entführung teilnehmen lassen wollen. Am besten wäre er bei dem Lastwagen geblieben; wir hätten uns alle dort mit ihm getroffen, um über die Grenze gefahren zu werden, aber er hatte darauf bestanden, mitzukommen, damit wir uns nicht zusammentun konnten, um ihn
reinzulegen. An seiner Stelle hätte ich vermutlich ebenso gehandelt. Aber was nun?
Dann fiel mir etwas anderes ein. Was war, wenn einer von Sergejs Jungs überlebt hatte? Die Polizei würde vermutlich nicht lange brauchen, um ihn zum Reden zu bringen. Ich hörte zu mampfen auf und stellte meinen Kaffeebecher ab. Scheiße, wir mussten hier raus!
Ich sprang auf, griff mir Zimmermanns und Alptraums Reisetaschen und zog einen roten zweiteiligen Skianzug aus meiner. Ich steckte die 88 und die Magazine in die vorderen Taschen und warf meinem Gefangenen
Zimmermanns Winterkleidung zu. Zimmermann war ein großer Kerl, deshalb war die Passform kein Problem.
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Ich überließ es Val, herauszubekommen, wie er sich die Sachen anziehen sollte, während sein Arm noch gefesselt war, rannte nach oben und holte zwei große Daunendecken. Als ich wieder unten war, zog ich meine Pistole, schnitt ihn los und trat zurück. »Los, anziehen!«, befahl ich ihm und tat so, als schlüpfte ich in eine Jacke.
Er begriff, was ich meinte, und begann Mantel und Smoking auszuziehen. Ich behielt ihn scharf im Auge, um auf jede falsche Bewegung sofort reagieren zu
können. Alles was er anhatte stank nach Geld. Seine Schuhe waren so elegant, dass ich mir das Etikett ansah.
Made in England. Patrick Cox. Mit dem Geld, das zwei oder drei Paar dieser Schuhe kosteten, hätte ich mein Dach reparieren lassen können.
Ich ließ ihm seine Geldbörse, nachdem ich den Inhalt kontrolliert und darin alte Fotos von Kleinkindern in Spielhöschen gesehen hatte. Ich hatte es immer
vermieden, mich mit solchem Krempel zu belasten, aber ich wusste, dass er für manche Leute wichtig war.
Wenig später trug Val eine gelbe Daunenhose, einen grünen Anorak, eine orangerote Wollmütze mit roter Quaste, einen Wollschal und Moonboots – lauter Sachen, die mindestens drei Nummern zu groß sein mussten. In dieser Aufmachung hätte er jederzeit ein Gastspiel als Entertainer bei einem Kinderfest geben können.
Ich bedeutete ihm mit der Pistole, er solle wieder an die Säule treten. Val gehorchte bereitwillig. Ich zeigte ihm, dass er sie umarmen sollte. Nun brauchte ich nur noch zwei weitere lange Kabelbinder um seine
Handgelenke zu schlingen und festzuziehen.
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Ich überließ es ihm, eine einigermaßen bequeme
Haltung zu finden, nahm meine Taschenlampe mit und ging in den Schuppen hinaus, um zwei Schaufeln zu holen: eine Aluminiumschaufel mit großer Mulde, die zum Schneeräumen diente, und eine gewöhnliche
Bauschaufel. Die Schaufeln warf ich drinnen auf den Tisch, die Taschenlampe kam in eine Tasche meiner Daunenhose.
Val versuchte zu erraten, was ich vorhatte. Er
beobachtete mich, wie seine blonde Mieze mich im Hotel angesehen hatte – als ob keine Gefahr drohe, als ob nichts passiere, was ihn betreffen könnte. Er schien zu glauben, er sei lediglich ein neutraler Beobachter.
Ich suchte in allen Küchenschränken nach
Thermosflaschen und Lebensmitteln. Ohne Erfolg.
Anscheinend
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