Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
Im Einsatz war doch jede Situation anders. Aber der Film war ein guter Ausgangspunkt; er bedeutete, dass ich einen Plan hatte. Ging dann etwas schief, kam es darauf 281
an, diesen Plan in den zur Verfügung stehenden wenigen Sekunden so abzuändern, dass ich auf die neue
Bedrohung reagieren konnte, statt nur dazustehen und vor Selbstmitleid zu zerfließen.
Ich lag seit etwa zwei Stunden auf meinem Bett, als an die Tür geklopft wurde.
»Nick?«
Tom steckte seinen Kopf herein.
»Liv ist wieder da. Du sagst ihr nicht, dass du’s weißt, okay? Es ist nur … na ja, du verstehst schon.«
Ich stand auf, ging zu ihm hinaus und deutete mit Daumen und Zeigefinger an, dass mein Mund
geschlossen bleiben würde, als sei er mit einem
Reißverschluss gesichert.
Sie war im Wohnbereich und warf gerade ihre
Tibetermütze und ihre schwarze Lederjacke auf eines der Sofas. Wider Erwarten wechselten die beiden keine verstohlenen Blicke. Livs ganze Art verkündete, dass wir jetzt keine Zeit für belanglose Gespräche hatten.
»Guten Morgen«, sagte sie energisch. »Die
Bestätigung ist da: Sie sind jetzt online.«
Anscheinend hatte sie sich heute Vormittag auch mit ihrem Freund aus St. Petersburg getroffen.
»Könnt ihr mir helfen, das Zeug raufzuholen? Ich habe das ganze Auto voller Tragetaschen.«
Wir folgten ihr in die Garage hinunter, wo sie mir als Erstes einen Computerausdruck mit der
Wettervorhersage auf Finnisch in die Hand drückte.
»Hier steht, dass es am frühen Morgen Schneeschauer geben kann. Das ist gut für dich, ja?«
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Tom war dabei, die Hecktür des Mercedes zu öffnen.
»Was bedeutet ›früher Morgen‹?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Das habe ich die
Wettermenschen auch gefragt. Aber sie wollen sich nicht festlegen. Irgendwann zwischen zwei und zehn Uhr.«
Ich gab ihr das Blatt zurück, ging nach hinten und achtete darauf, Tom nicht merken zu lassen, wie besorgt ich war. Diese Vorhersage war schlecht. Schnee ist gut, um Spuren zu verdecken, aber schlecht, wenn man keine hinterlassen will. Wir mussten möglichst schnell ins Haus gelangen und es rasch wieder verlassen, sonst waren bei Tagesanbruch einzig und allein unsere Spuren im
Neuschnee zu sehen. Wir konnten natürlich darauf
hoffen, ein weiterer Schneeschauer werde sie verdecken, aber das durfte man bei einem Unternehmen, das geheim bleiben sollte, eigentlich nicht riskieren. Andererseits hatte ich einen Termin einzuhalten, deshalb würde mir nichts anderes übrig bleiben, als das Unternehmen durchzuziehen.
Ich war nervös und konnte nur hoffen, Gott habe mir in Toms Wohnung nicht wirklich zugehört und
beschlossen, sich an mir zu rächen, indem er den
Schneefall in dem Augenblick aufhören ließ, in dem wir das Haus betraten.
Tom nahm einen langen Bolzenschneider vom
Rücksitz des Mercedes und hielt ihn mit fragender Miene hoch.
Ich hatte die Arme schon voller Kartons und
Tragetaschen. »Nur ein Werkzeug, das wir heute Nacht für alle Fälle mitnehmen«, erklärte ich ihm. »Komm, hilf 283
mir mal mit diesem Krempel.«
Tom klemmte sich den Bolzenschneider unter einen
Arm und folgte mir dann schwer mit Tragetaschen
beladen nach oben. Er stellte sie neben das Zeug, das ich auf dem Holzboden vor der Küche deponiert hatte, und machte sich daran, ihren Inhalt zu begutachten wie ein Kind, das auf der Suche nach Süßigkeiten ist. Liv war uns nach oben gefolgt.
Jetzt musste ich wieder auf den Arbeitsmodus
umschalten. »Ihr braucht nicht hier rumzulungern«, sagte ich, »ihr würdet nur stören. Lasst mir ein paar Stunden Zeit für meine Vorbereitungen, dann erkläre ich euch, wozu ich dieses ganze Zeug brauche. Tom, du sorgst dafür, dass deine Latschen sauber sind. Kein Schmutz, der abblättern könnte, keine Steinchen im Sohlenprofil, okay?«
Er nickte.
Liv sah ihn fragend an. »Latschen?«
»Die Segeltuchschuhe, die ich angehabt habe.« Er trug bereits seine neuen Stiefel.
Sie wiederholte das Wort lautlos, um es in ihrem
Gedächtnis zu speichern, bevor sie zu ihrer Haushälfte hinüberging. »Gut, dann bis später.«
Tom sah mich an, als sie im Korridor verschwand und die Tür hinter sich schloss. Ich erriet, was ihm durch den Kopf ging. »Keine Sorge, Kumpel, ich sage kein Wort.«
Er grinste sichtlich erleichtert. »Danke, weil … na ja, du weißt schon.« Er wandte sich ab, um in unsere
Haushälfte zu gehen.
»Tom, kann ich noch irgendwas für dich tun?«
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»Nein, danke, Kumpel«, antwortete er mit
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