Nick Stone - 04 - Eingekreist
unsicher, während ich in die Tragriemen
meines Rucksacks schlüpfte. »Bien, bien.«
Ich reckte den Daumen hoch und lächelte ihm
aufmunternd zu. »Gut, gut.« Das sollte ihn etwas
weniger nervös machen. Wer glaubt, dass er nichts
mehr zu verlieren hat, kann unberechenbar reagieren –
aber wenn er glaubte, er habe eine Überlebenschance, würde er tun, was ich ihm befahl.
Ich wusste nicht recht, was ich mit diesem Jungen
anfangen sollte. Ich wollte ihn nicht liquidieren, weil er mir nichts getan hatte, und hatte keine Zeit, ihn
fachgerecht zu fesseln. Ich wollte ihn auch nicht
mitnehmen, aber letztlich blieb mir nichts anderes übrig.
Ich konnte ihn nicht einfach laufen lassen – jedenfalls nicht hier in der Nähe des Hauses. Ich nickte in
Richtung Straße. »Vamos, vamos!«
Er stand auf, und ich deutete mit dem M-16 in die
Richtung, wo der Land Cruiser stand. »Camion, vamos, camion.« Das war nicht gerade flüssiges Spanisch, aber er verstand, was ich meinte, und wir setzten uns in Bewegung.
Als wir den Wagen erreichten, brauchte ich nur
Rucksack und Gewehr hinten einzuladen und den
Jungen vorn einsteigen zu lassen, wo er sich im
Fußraum vor dem Beifahrersitz zusammenrollen musste.
Ich verhakte die Mündung des M-16 in seinem Hemd
und legte mir das Gewehr über die Knie. Das Gewehr
war auf Dauerfeuer eingestellt, und mein linker
Zeigefinger lag am Abzug. Der Junge begriff, dass jede 451
Bewegung Selbstmord gewesen wäre.
Der Zündschlüssel steckte. Ich ließ den Motor an,
stellte den Wahlhebel auf D und fuhr an. Der fast neue Land Cruiser, der noch nach Ausstellungsraum roch,
gab mir ein eigenartiges Sicherheitsgefühl. Als wir in Richtung Clayton und Panama City davonfuhren, sah
ich zu meinem Beifahrer hinunter und lächelte. »No problema.«
Ich wusste, dass er mir keine Probleme machen
würde. Ich sah den Ehering an seiner Hand und wusste, woran er vor allem denken würde.
Tief hängende Wolken in vielen unterschiedlichen
Grautönen, in denen die zerklüfteten Berggipfel am
Horizont verschwanden, ließen erwarten, dass der
Regen heute früh kommen würde. Es würde nicht mehr
lange dauern, bis der tägliche Wolkenbruch einsetzte.
Was sollte ich mit meinem Begleiter anfangen? Ich
konnte ihn nicht bis zur Mautstation mitnehmen. Unter Umständen erwarteten mich dort neue
Unannehmlichkeiten, falls sie jetzt überwacht wurde.
Als wir an einem der verlassenen Spielplätze zwischen den Wohnblocks vorbeikamen, hielt ich an, stieg aus und öffnete seine Tür. Er starrte mich zweifelnd an, als ich ihm mit dem M-16 bedeutete, er solle aussteigen.
»Lauf! Lauf!«
Er schien nicht zu verstehen, was ich meinte, deshalb gab ich ihm einen Stoß und schwenkte den linken Arm.
»Los, los, lauf schon!« Als er an den Schaukeln vorbei davontrabte, setzte ich mich wieder ans Steuer und fuhr in Richtung Hauptstraße weiter. Bis er eine Telefonzelle 452
fand und sich bei seinen Leuten meldete, würde ich
längst in der Stadt sein. Aus der Luft drohte mir
jedenfalls keine Gefahr: Sobald der Wolkenbruch
begann, würde nichts mehr fliegen. Um sicherzugehen, sah ich nochmals nach den Wolken.
Ich kontrollierte auch die Tankanzeige: fast voll. Ob das reichen würde, wusste ich nicht, aber das spielte keine Rolle, denn ich hatte Geld in der Tasche.
Das erbeutete M-16 steckte zwischen Sitz und Tür,
als ich die Hauptstraße erreichte und zur Mautstation weiterfuhr.
33
Der Geländewagen holperte und schwankte über den
unter Wasser stehenden Dschungelpfad und ließ rechts und links hohe Wände aus Schlamm und Wasser
wegspritzen. Ich war nur froh, dass ich mit
geschlossenen Fenstern und eingeschalteter
Klimaanlage fahren konnte. Noch etwa zehn Minuten
bis zur Lichtung und dem Haus.
Der Regen hatte in El Chorrillo eingesetzt und den
Verkehr sofort behindert. Als ich den Pan-American
Highway erreichte, war der Regen zu einem
Wolkenbruch geworden, der über eine Stunde lang
anhielt. Danach hingen die Wolken bis Chepo tief und dräuend am Himmel. Ich hielt bei dem Laden, vor dessen Eingang vorgestern der alte Indianer gesessen hatte, 453
und kaufte zwei Dosen Pepsi und eine Plastiktüte mit kleinen Biskuitkuchen. Als ich fertig war, grub ich in meinem Rucksack nach Wasserflasche und
Sesamriegeln.
Auf dem anschließenden Wegstück gab es trotz
Schlamm und Wasser keine besonderen Probleme.
Während der Fahrt überlegte ich mir, wie ich den
Geländewagen später loswerden könnte,
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